Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
verreist. Hat Marge es Ihnen nicht gesagt? Er fährt für ein Weilchen nach Sizilien.«
»Wann?«
»Morgen. Oder heute abend spät, ich weiß nicht genau.«
»Sagen Sie mal, was ist denn eigentlich in letzter Zeit mit Dickie los?« fragte Freddie stirnrunzelnd. »Was soll denn bloß diese Eigenbrötlerei?«
»Er sagt, er hätte diesen Winter ziemlich hart gearbeitet«, sagte Tom leichthin. »Anscheinend sehnt er sich nach Ruhe, aber soviel ich weiß, steht er sich noch gut mit allen, auch mit Marge.«
Wieder lächelte Freddie, er knöpfte seinen dicken Mantel auf. »Mit mir wird er sich bald nicht mehr sehr gut stehen, wenn er mich noch einmal versetzt. Sind Sie sicher, daß er sich auch mit Marge noch gut steht? Ich hatte bei ihr den Eindruck, daß die zwei sich gestritten hatten. Ich nahm schon an, daß sie deshalb nicht nach Cortina gekommen sind.« Erwartungsvoll sah Freddie ihn an.
»Nicht, daß ich wüßte.« Tom ging an den Schrank, um eine Jacke herauszuholen, damit Freddie sah, daß er gehen wollte, und gerade rechtzeitig fiel ihm noch ein, daß man der grauen Flanelljacke, die zu seiner Hose paßte, vielleicht ansehen konnte, daß sie Dickie gehörte, konnte sein, daß Freddie diesen Anzug an Dickie gesehen hatte. Tom griff nach einer seiner eigenen Jacken und nach seinem Mantel, beides hing links am äußersten Ende der Stange. Die Schultern des Mantels sahen aus, als hätten sie wochenlang über dem Bügel gehangen, und das hatten sie ja auch. Tom drehte sich um und sah Freddie, dessen Blick starr auf das kleine silberne Kettchen an Toms linkem Handgelenk gerichtet war. Es war Dickies Kettchen, Tom hatte es nie an Dickie gesehen, aber er hatte es in der Schachtel gefunden, in der Dickie seine Kragenknöpfe und so was aufbewahrte. Freddie sah das Kettchen an, als hätte er es schon einmal gesehen. Lässig zog Tom den Mantel über.
Freddie sah ihn jetzt mit einem anderen Blick an, leise Überraschung lag darin. Tom wußte, was in Freddies Kopf jetzt vor sich ging. Sein Körper spannte sich, er spürte die Gefahr. Noch bist du nicht über den Berg, sagte er sich. Noch bist du nicht ´raus aus dem Hause hier.
»Gehen wir?« fragte Tom.
»Sie wohnen doch hier, nicht wahr?«
»Aber nein!« protestierte Tom lächelnd. Das abstoßende, braungesprenkelte Gesicht unter dem grellroten Stroh des Haares starrte ihn an. Wenn sie nur ´rauskämen, ohne unten der Signora Buffi vor die Nase zu rennen, dachte Tom. »Kommen Sie.«
»Dickie hat Sie mit all seinen Juwelen behängt, wie ich sehe.«
Tom fiel nicht das geringste ein, was er jetzt hätte sagen können, nicht der kleinste Witz, der hier gepaßt hätte. »Ach, das hat er mir nur geliehen«, sagte er in seiner tiefsten Stimme. »Dickie mochte es nicht mehr tragen, deshalb sagte er mir, ich sollte es eine Zeitlang benutzen.« Er meinte das Kettchen, aber da war ja auch noch die silberne Nadel auf seinem Schlips mit dem G darauf, fiel ihm ein. Tom hatte die Krawattennadel selber gekauft. Er spürte, wie Freddie Miles immer mehr in Harnisch geriet, er spürte es so genau, als strömte Freddies großer Körper eine Hitze aus, die man quer durchs Zimmer fühlen konnte. Freddie war so ein Ochse, der einen ohne weiteres niederschlagen könnte, wenn er dachte, man sei ein Strichjunge, vor allem wenn die Umstände so günstig waren wie hier. Tom fürchtete sich vor seinen Augen.
»Ja, ich gehe«, sagte Freddie grimmig und stand auf. Er ging zur Türe und wandte sich mit einer Drehung seiner breiten Schultern zurück. »Das ist das ›Otello‹ in der Nähe des ›Inghilterra‹?«
»Ja«, sagte Tom. »Um eins soll er dort sein.«
Freddie nickte. »Nett, Sie wieder einmal gesehen zu haben«, sagte er giftig und schloß die Tür hinter sich.
Tom fluchte leise vor sich hin. Er machte die Tür einen Spaltbreit auf und lauschte dem Tapp-tapp-tapp-tapp von Freddies Schuhen, die treppab gingen. Er wollte sich vergewissern, daß Freddie das Haus verließ, ohne noch mit einem von den Buffis zu sprechen. Und da hörte er schon Freddies »Buon´giorno, signora!« Tom beugte sich über das Treppengeländer. Drei Stockwerke tiefer konnte er ein Stückchen von Freddies Mantelärmel sehen. Freddie sprach italienisch mit Signora Buffi. Die Stimme der Frau war deutlicher zu verstehen.
». . . nur Signor Greenleaf«, sagte sie »Nein, nur einer . . . Signor wie? Nein, Signor . . . Ich glaube, er ist heute den ganzen Tag noch nicht ausgegangen, aber ich kann mich irren!« Sie
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