Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
Gefallen erwiesen zu haben …«
Thorne betrachtete sich Spikes Schnittwunde am Wangenknochen und die geplatzte und aufgeschwollene Lippenhälfte. »Hab ich mir schlimmer vorgestellt«, sagte er.
Spike schüttelte selbstgefällig den Kopf. »Hab mir die meiste Zeit die Arme vor den Kopf gehalten. Aber die Scheißrippen sind grün und blau. Tut mir nur Leid, dass ich keine Chance hatte, den Wichser abzustechen.«
»Du hast ein Messer?«
Mit der halben geschwollenen Lippe wirkte sein Lächeln so schief wie das von McCabe. »Ich habe immer ’ne Waffe dabei«, sagte Spike.
Sie liefen Richtung Norden durch Soho. Auf den düsteren Straßen war jede Menge los. Die Leute nutzten ihre Mittagspause, um einzukaufen, etwas zu essen oder zu trinken, um den Rest des Tages besser zu überstehen. Thorne und Spike spazierten gemächlich mitten auf dem Bürgersteig. So zugerichtet, wie sie waren, schlugen sie eine etwas breitere Schneise in den Fußgängerstrom als sonst.
»Du kannst von Glück reden, dass sie dich nicht damit erwischt haben«, meinte Thorne. Vielleicht hätte es entgegen dem, was er McCabe gesagt hatte, sehr wohl schlimmer kommen können. Hätte man ihn bei einem Überfall mit einer Waffe festgenommen, hätte Russell Brigstocke einen Scheiß für ihn tun können …
»Sorry, dass ich mich verpisst habe«, sagte Spike. »Ich hatte was einstecken. Du weißt ja, wie das ist.«
Thorne wusste, wie das ist.
»Sonst … du weißt schon.«
»Ist schon gut.«
Spike schniefte und spuckte auf die Straße. Er schob die Hände in die Taschen seiner schäbigen Vinyl-Bomberjacke. »Und danke, dass du mir geholfen hast. Versucht hast, den Wichser von mir runterzuziehen. Nicht dass ich den nicht allein erledigt hätte …«
Thorne nickte ernst. Der Witz war angekommen. »Natürlich nicht.«
»Und«, Spike feixte, als ihnen ein junges Pärchen in einem weiten Bogen auswich, »als kleines Zeichen meiner Anerkennung habe ich uns beiden einen Job besorgt …«
Eine halbe Stunde später war Thorne bereits eingespannt. Er hielt ein Schild in den Händen, auf dem ein knallgelber Pfeil und ein Schriftzug zu sehen waren: »MR. JERK. CHICKEN ’N RIBS«. Das Restaurant befand sich in der Mitte der Argyll Street. Thorne und Spike sollten mit ihren knalligen Werbeschildern den Passantenstrom lenken. Spike war am Oxford-Circus-Ende der Straße positioniert und zeigte mit dem Pfeil auf seinem Schild den hungrigen Passanten den Weg. Thorne tat seinen Teil, sie vom anderen Straßenende herzulocken. Dazu hatte er sich ein Plätzchen in der Nähe des Liberty gesucht, wo jede Menge Leute herkamen. Etwa alle halbe Stunde wechselten Thorne und Spike die Plätze, wobei sie jeweils vor dem Palladium fünf Minuten Pause für ein Schwätzchen einlegten.
Für ein paar Scheine die Stunde machten sie Mr. Jerk glücklich, und am Abend würden sie genug verdient haben, damit Thorne sich etwas Ordentliches zu essen und Spike sich seinen Stoff besorgen konnte.
Thorne hielt sein Schild aufrecht. Oder hielt sich daran aufrecht. Die Leute, die an ihm vorbeiliefen, sahen alle gleich drein. Wo immer er hinsah, derselbe Gesichtsausdruck. Nur er selbst schaute noch zermatschter drein …
Was er Spike erzählt hatte, entsprach zumindest teilweise der Wahrheit. Brigstocke hatte seinen Teil dazu beigetragen, McCabe und den Polizisten zu beschwichtigen, dessen Gesicht Thorne bearbeitet hatte. Aber bislang war noch nichts entschieden. Eine Anklage konnte ihm jederzeit blühen, entweder jetzt als Obdachlosen oder später als Polizeibeamten, wenn die Ermittlung abgeschlossen war. Obwohl es unwahrscheinlich schien, dass er unbehelligt aus der Sache rauskam, beschäftigte Thorne weitaus mehr, ob er durch seine Blödheit seinen Job auf der Straße gefährdet hatte. McCabe hatte ihm zugesagt, Thornes Undercoverstatus vertraulich zu behandeln. Andererseits war diese Zusage wertlos. Er konnte ja nicht einmal die Hand für seine eigenen Leute ins Feuer legen, geschweige denn für die zahllosen anderen – Streifenpolizisten, Beamte von der Drogen- und von der Trickdiebabteilung, die Jungs vom Glücksspiel und von der Sitte. Die Met unterschied sich in nichts von anderen großen Institutionen. Es wurde geklatscht und getratscht und über einem Bier so manches Gerücht ausgetauscht. Dazu kamen jede Menge geschwätzige E-Mails. Thorne dachte an den Mann, hinter dem sie her waren. Der Mann, der vielleicht Polizist war. Würde er, falls die Sache rauskam, die
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