Troubles (German Edition)
unschuldigen Menschen die Häuser niedergebrannt werden«, platzte der Major ganz unvermittelt heraus.
Bolton sagte: »Heutzutage gibt es in Irland keine unschuldigen Menschen mehr, Major. Ziehen Sie eine Uniform wie diese hier an, und Sie werden feststellen, dass jedermann Ihr Feind ist.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann fügte Bolton hinzu: »Wenn einer von Ihnen Mut genug hat, sich mit einem Mann in der Uniform der Krone sehen zu lassen, können Sie mit hinaus zum Seminar kommen. Ich fürchte, die Shinner werden sich Ihr Wunder unter den Nagel reißen, um damit die Massen aufzuwiegeln. Ein seltsames Gefühl, wenn man sich unter lauter unschuldigen Menschen befindet, Major, von denen jeder schon im nächsten Moment zum Helden werden kann, indem er eine Waffe zückt und Sie hinterrücks erschießt, ohne dass er befürchten muss, dafür ergriffen zu werden … Wie ist es mit Ihnen, Mr. O’Neill? Möchten Sie mit mir mitkommen?«
»Ein andermal gern, aber ich habe meiner Frau gesagt, dass ich pünktlich nach Hause komme.«
»Ein Jammer.« Bolton lächelte leise.
Einen Moment lang schwiegen alle. Sarah hatte nun endlich den Kopf gehoben und sah mit amüsierter Miene reihum allen ins Gesicht. Bolton ließ schläfrig die Lider sinken.
»Wahrscheinlich übertreibe ich die Gefahr auch«, sagte er gleichmütig. »Womöglich hat in der ganzen Gesellschaft kein einziger eine Waffe.« Wieder wartete er, und nun sah er Edward an. »Wie ist es mit Ihnen, Mr. Spencer?«
»Also ich wüsste wirklich nicht, warum man so unvernünftige Risiken eingehen soll«, erwiderte Edward schroff. »Das ist das erste, was man in der Army lernt.«
»Natürlich. Da haben Sie vollkommen recht. Aber der Major hier ist ja auch ein Mann der Armee, und ich bin sicher, der wird mitkommen wollen.« Wieder lächelte Bolton spöttisch. Auch ohne dass er sich ihr zuwandte, spürte der Major, dass Sarah ihn ansah.
»Aber gewiss«, antwortete er. »Ich bin bereit, wann immer Sie soweit sind.«
Der Wind, der schon seit dem frühen Morgen wehte, ließ den ganzen Nachmittag über nicht nach, er blies dermaßen gleichmäßig, dass die Äste an den Bäumen stets zurückgebogen blieben, und das Gras wirkte wie flach an den Hügel gekämmt, wo der Major nun stand. Der Wind zerzauste Captain Boltons kurzes blondes Haar und blähte seine Uniformjacke, so wie er auf seinem Jagdstock saß und durch das Fernglas spähte. Mit den windgebeutelten Schultern sah er wie ein Buckliger aus. Nach einem Augenblick ließ er das Fernglas sinken, nahm den Lederriemen ab und reichte es wortlos dem Major. Dieser hob es an die Augen und blickte hinunter zur See.
»Schon merkwürdig«, sinnierte Bolton. »Ich habe die Iren nie gemocht, auch schon vor all dem, was jetzt hier passiert. Ein ungehobelter Haufen. Eher Tiere als Menschen … manchmal hat es mir den Magen umgedreht, wenn ich ihnen auch nur beim Essen zusehen musste.«
Der Major hatte mittlerweile das Seminar im Visier, auf einer Felsnase über dem Meer. Die Menge hatte sich auf einer Wiese unterhalb des Campanile aus grauen Feldsteinen versammelt, dessen vom Wind bewegte Glocke einzelne, klagende Laute hervorbrachte, die leise herüberwehten.
»Denen wünsche ich, dass sie alle Rheuma bekommen, wie sie sich da ins nasse Gras werfen.«
»Mittlerweile stehen sie wieder alle. Ein junger Mann hält eine Ansprache, dem äußeren Eindruck nach zu urteilen.«
»Das muss ich mir ansehen.« Bolton nahm das Glas wieder, warf einen kurzen Blick hindurch und reichte es zurück.
Der Major konnte, auch wenn er am Nachmittag die Leute und Wagen gesehen hatte, nur staunen über die Menge, die zusammengekommen war. In der perspektivischen Verkürzung sah es aus wie Berge von Köpfen übereinandergeschichtet. Ein paar Frauen standen am Rande der Menge, und drei oder vier Karren mit Krüppeln hatte man über das unwegsame Gelände bis ganz nach vorn vor das Seminar gezerrt, damit sie hören konnten, was gesagt wurde. An den oberen Fenstern des Gebäudes reckten bleichgesichtige Jungen die Hälse, klammerten sich an die schweren Eisengitter, und auf den Treppenstufen stand eine Reihe schwarzgewandeter Priester; sie machten große Augen und hielten sich die Hände an die Ohren, damit sie im Tosen des Sturms noch etwas hörten. Der junge Mann stand nun draußen auf einer Felszunge, die weit ins Meer hinausragte.
Er hatte ein kantiges Kinn und einen Stiernacken, und der Major stellte sich vor, wie die Adern hervortreten
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