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Troubles (German Edition)

Troubles (German Edition)

Titel: Troubles (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Gordon Farrell
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ob sie leben oder sterben wollten (und diejenigen, die starben, waren fort) –, hatte er immer noch, wenn auch mit Dankbarkeit, das alte schlechte Gewissen. »Sie müssen jetzt nicht nur für sich, sondern auch für all die anderen leben«, hatte ihm einmal ein freundlicher schottischer Arzt im Krankenhaus gesagt: ein Versuch, seinen Verstand wieder aus jenem kalten Reich der Wehmut und der Teilnahmslosigkeit zu locken, in das er sich zurückgezogen hatte. Aber das war natürlich leichter gesagt als getan, gerade im Majestic.
    Auch in den folgenden Tagen blieb das Wetter bitterkalt. Morgens aus dem Bett zu steigen, das Bad, bei dem die eisige Zugluft unter der Badezimmertür hindurchpfiff, wurde zur Qual. Der Major klapperte mit den Zähnen und dachte schmerzlich an Italiens Sonne. Bei solcher Kälte waren die Leute nicht gesprächig; die Damen wickelten sich in dicke Decken und pressten die Lippen zusammen, um jedes bisschen Wärme, das sie in sich hatten, festzuhalten. Der Dreikönigstag kam und ging, doch niemand kam auf die Idee, den Weihnachtsschmuck abzunehmen. Man musste die Arme immer eng am Körper behalten; hob man sie auch nur einen Moment lang, hatte das eisige Schwert der Lungenentzündung einen auch schon durchbohrt.
    Nicht nur für die Damen war es eine schlechte Zeit. Auch Padraig war verzweifelt. Sein Vater sprach davon, dass er ihn als Bürolehrling in eine Anwaltskanzlei in Dublin schicken wolle, und das war eine Aussicht, die ein empfindsamer Mensch einfach nicht ertragen konnte. Faith berichtete dem Major, dass Padraig umhergehe und den Damen erzähle, lieber werde er sich in Scharlach kleiden und von den Zinnen des Majestic stürzen. Der Major trug ihr auf, ihm zu sagen, er solle auf keinen Fall auf die Zinnen steigen, die seien baufällig. Die Schmuckfassade könne jeden Moment herunterstürzen.
    Mit Handschuhen und Pudelmütze saß der Major eines klaren Februarmorgens im Salon und las in der
Irish Times
von den Katastrophen des Tages. Er blickte auf und sah, dass Edward eingetreten war. Der Major fuhr hoch. Neben Edward stand Sarah! Ihr Gesicht war bleich und angespannt; sie sah unglücklich aus. Edward starrte mit ausdruckslosen Augen an ihr vorbei, aber seine Lippen bewegten sich rasch; er redete leise auf sie ein. Nur einen Moment lang, als er mit seiner Rede zu Ende war, sah er ihr ins Gesicht, dann forschte er wieder in den unergründlichen Tiefen des Raumes. Sarah gab heftig Widerworte. Der Major senkte den Blick und tat, als sei er in die Zeitungslektüre vertieft. Für kurze Zeit stand Sarah am Kamin, sprach weiter mit Edward. Der Major spürte, dass sie ihn einoder zweimal ansah, als warte sie darauf, dass er aufsah und ihre Blicke sich trafen. Aber er studierte weiter die
Irish Times
und runzelte vor Konzentration die Stirn. Nicht lange, und er vermerkte, dass sie und Edward zwischen Sesseln und Tischen wieder zur Tür gingen. Als er sich schließlich einen Blick gestattete, waren sie nicht mehr da. »Was für ein Dummkopf ich bin! Es wäre viel besser gewesen, wenn ich hingegangen wäre, eine gutgelaunte Bemerkung gemacht hätte, und dann wäre ich wieder davonspaziert, damit sie spürt, wie wenig sie mir noch bedeutet, jetzt, wo sie Edward von meinen Briefen erzählt hat.«
    Edwards Experimente waren wieder ins Stocken geraten. Seine Kröte, einladend auf der Marmorplatte ausgebreitet, hatten über Nacht die allgegenwärtigen Katzen gefressen – offenbar hatte nicht einmal der Umstand sie davon abhalten können, dass die Kröte mit Formalin präpariert war und inzwischen eine blauschwarze Färbung angenommen hatte, eher Pflaumenmus als Erdbeermarmelade. Edward saß immer noch gedankenverloren zwischen Büchern und Gerätschaften, sein Ausdruck teilnahmslos. Doch jetzt wich seine Ernsthaftigkeit manchmal ganz plötzlich beunruhigenden Heiterkeitsausbrüchen; auch harmlosere Streiche spielte er jetzt wieder. Selbst an normalen Tagen ärgerten solche Scherze den Major, der keinen Sinn für Humor hatte; bei kaltem Wetter fand er sie unerträglich – man hatte einfach keine Kraft dafür. Trotzdem musste er Edward jetzt, ob Scherze oder nicht, ständig im Auge behalten; genauer gesagt musste er ihn verfolgen, wie er über die Korridore huschte, musste hinaus in die Kälte, wenn Edward auf die Idee kam, Zwiesprache mit seinen Ferkeln zu halten, oder es so einrichten, dass er immer wieder an den Ballsaalfenstern vorüberkam, um sich zu vergewissern, dass Edward noch an seinem Tisch

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