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Troubles (German Edition)

Troubles (German Edition)

Titel: Troubles (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Gordon Farrell
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Leichnam eines jungen Mannes dort zu lassen, und sei es auch nur für kurze Zeit. Und so hatte er ihn mit der Hilfe von Séan Murphy ins Haus getragen und auf einen Beistelltisch im Jagdzimmer gelegt. Hier konnte man wenigstens einigermaßen sicher sein, dass der Anblick nicht die Damen erschreckte. Doch als er erst einmal dort lag und Séan Murphy wieder gegangen war, noch mit allen Anzeichen des Schocks über diese so plötzliche Begegnung mit der Sterblichkeit auf seinem gutmütigen Gesicht, fragte sich der Major, ob man ihn nicht doch besser gelassen hätte, wo er war. Die zerlumpte Arbeiterkluft, die schmutzigen Stiefel mit Bindfaden geschnürt, die abgewetzte Jacke, die geflickten Hosen – all das passte nicht zu der eleganten Eichentäfelung und den Hirschgeweihen an der Wand, nicht einmal im Tode langgestreckt auf einem Beistelltisch. Beinahe ebenso abwegig, dachte der Major, wie wenn man plötzlich einen Schornsteinfeger auf dem Wohnzimmersofa sitzen fände. So wie er jetzt hier im Jagdzimmer lag, hatte man das Gefühl, dass es der Leichnam im Gartenschuppen doch bequemer gehabt hatte.
    Er trat einen Schritt zurück, den Kopf schiefgelegt, einen Finger am Mund. Na, es wäre lächerlich, wenn man ihn jetzt dorthin zurücktrüge. Es wäre wohl besser gewesen, alles zu lassen, wie es war, aber nun war es zu spät, sich darum noch Gedanken zu machen. Sein Blick fiel auf ein weiteres störendes Detail: oberhalb der Leiche stand auf einem Regalbrett eine große Anzahl angelaufener Silberpokale, denn Edward war zu seiner Zeit ein hervorragender Schütze gewesen. War er offenbar immer noch, trotz seiner zittrigen Hände. Aber je weniger man darüber nachdachte, desto besser.
    Müde schüttelte er den Kopf und sah sich nach etwas um, womit er den Toten bedecken konnte. Aber er fand nichts, und so verließ er den Raum für einen Augenblick und kehrte mit einem frischen Tischtuch zurück; er faltete es auseinander und breitete es über den Leichnam, wobei er noch einmal das bleiche Gesicht und das leuchtend rote Haar des jungen Mannes betrachtete, die bläulichen Lider, die er ihm selbst zugedrückt hatte. Der Mund stand allerdings offen, was dem Gesicht etwas Schwachsinniges gab. Als der Major sich abwandte, fiel sein Blick auf das vorwurfsvoll offene Maul des Hechts in seinem Glaskasten über dem Kaminsims und er dachte: »Das geht aber wirklich nicht. Ich muss den Mund dieses armen Jungen zubekommen, bevor er zu steif wird.«
    Er fuhr erschrocken zurück, als er das Gesicht berührte. Die Haut war noch weich und gab unter seinen Fingerspitzen nach. Dieses Gesicht
gehörte einem Menschen!
Er schauderte, als er vorsichtig am Kinn drückte, bis die Lippen sich schlossen.
    Doch als er losließ, klappte die Kinnlade wieder herunter. Er versuchte es noch ein zweites Mal, mit demselben Ergebnis. Die Haltung des Kopfes stimmte nicht, daran lag es. Auf dem Regalbrett unter den Silberpokalen fand er einen Almanach für das Jahr 1911, der wahrscheinlich die richtige Dicke hatte. Er blies den Staub ab und schob ihn dem Jungen unter den Kopf. Diesmal blieb der Mund zu. Der Major atmete tief durch und setzte sich dann in einen Lehnstuhl am leeren Kamin.
    Fünf Minuten lang saß er dort und rührte keinen Muskel. Dann klopfte es an der Tür, und Edward trat ein wenig verlegen ein.
    »Ah, da sind Sie, Brendan. Ich hatte schon überlegt, wo Sie wohl stecken.«
    Er ließ den Blick durch den Raum schweifen und stutzte kurz, als er die Umrisse unter dem Tischtuch sah. Aber er sagte nichts dazu, als er sich nun dem Major gegenüber setzte. Auch der Major schwieg.
    Nach einer Weile erklärte Edward, der den Kopf so zurückgelehnt hatte, dass sein Mund offenstand, in einer Haltung, die derjenigen der Leiche ein paar Minuten zuvor merkwürdig ähnlich sah: »Ich hatte Nasenbluten, Brendan … dachte schon, das hört überhaupt nicht mehr auf. Heißt es nicht, man soll sich einen kalten Schlüssel hinten in den Hemdkragen stecken? Oder ist das bei Schluckauf? Ich kann mir das nie merken.«
    Der Major antwortete nicht. Edward seufzte leise, und sein nach oben gerichteter Blick schweifte über die Wände, über die vielen Geweihe, ein ganzer Winterwald aus Hirschen, er schweifte über Steinbock, Antilope und Zebra, die sie still mit vorwurfsvollen Glasaugen betrachteten. Der Gedanke durchzuckte den Major, dass Edward womöglich mittlerweile so verrückt war, dass er gerade die Wand nach einem Platz absuchte, an den er den Kopf des

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