Troubles (German Edition)
gleichgültig aufgenommen. Allenfalls hatte er eine leichte, gleichsam geschäftsmäßige Befriedigung darüber an den Tag gelegt, dass der Täter seine Strafe erhalten hatte. Der Major kam zu dem Schluss, dass er den Mann nicht mochte, und wandte sich lieber der Statue zu.
Sie war beschädigt, aber nicht zerstört. Zwar war ein großes Loch in die Flanken des Pferdes gerissen, doch die wackere Reiterin war im Sattel geblieben, nur dass sie sich jetzt stark zur Seite lehnte, wie ein Cowgirl in einem Rodeo. Und ihm fiel auf, dass der Schlag ihren stählernen Rock um ein paar skandalöse Zoll gehoben hatte.
»Plastiksprengstoff und eine Kaffeedose«, erklärte Murdoch neben ihm. »Ein wirksamer Sprengstoff, der völlig unparteiisch Shinner wie Briten umbringt. Die Iren nennen ihn ›
Bas gan Sagart
‹ – ›Tod ohne Priester‹.« Und während die eine Hälfte von Murdochs Gesicht glatt und ernst blieb, hob die andere sich mit schelmischer Freude.
Noch später saß der Major lange im Zimmer des Priesters, Pater O’Byrne; mal redeten sie, dann saßen sie einfach nur schweigend da. Es war ein sehr kleiner Raum, finster und vollgestopft mit Büchern. Der Major war entsetzlich müde. Immer wieder blickte er auf die Uhr, doch die Stunden des Vormittags wollten einfach nicht vergehen.
»Edward Spencer ist ein Feigling und ein Mörder, Major … Sie sind ein armseliger Mann, wenn Sie sich dazu hergeben, ihn zu verteidigen.«
Der Major war entsetzlich müde. Und doch faszinierte ihn die fadenscheinige Soutane des Priesters, der Hass in seinen Augen. Schließlich wandte der Priester den Blick vom Gesicht des Majors ab und hob ihn zu dem Kruzifix an der Wand. Dem Major kam die Art, wie er die Augen darauf geheftet hielt, blind, unmenschlich, fanatisch vor. Der gelbliche nackte Leib, die angespannten Rippen, die hervorgequollenen Augen und geöffneten Lippen, die schlaff ausgestreckten Arme mit den trägen Fingern, die übereinandergelegten Füße, damit man Nägel sparen konnte, der kirschrote Blutfleck in der Seite …
»Der Junge hat bekommen, was er verdiente«, sagte er schroff. »Ich hoffe nur, das wird ein paar von den anderen jungen Taugenichtsen, die Irland verwüsten, eine Lehre sein!«
Und damit drehte er sich um und stapfte aus dem Haus, und die Tür warf er krachend hinter sich zu.
In den Wochen seit der Ballnacht hatte sich Mr. Nortons Gesundheitszustand zusehends verschlechtert. Schwer zu sagen, ob es daran lag, dass der arme Mann sich auf der Tanzfläche so sehr verausgabt hatte, oder ob es einfach nur der natürliche, unabwendbare Schwund seiner Kräfte war. Jedenfalls kam er nicht mehr aus dem Bett, und sein Verstand mäanderte ziellos zwischen Mathematik und Boudoir; bald kicherte er leise vor sich hin, bald weinte er, doch immer verlangte er nach Gesellschaft und Aufmerksamkeit.
Aus Pflichtgefühl überwanden die Damen ihren Widerwillen, nahmen von Zeit zu Zeit ihr Strickzeug und gingen nach oben in den ersten Stock, um ihm Gesellschaft zu leisten. Während sie strickten, murmelte er lange, unverständliche Gleichungen vor sich hin und, darin eingeflochten, kaum verständlichere Beschreibungen seiner Begegnungen mit dem anderen Geschlecht, dem er so hingebungsvoll sein ganzes Leben gewidmet hatte (nur um auf seine alten Tage nun allein zwischen diesen kalten, verkrumpelten Laken zu liegen). Der Major empfand Mitleid mit ihm, aber insgeheim war er froh, dass seine Erinnerungen so schwer zu entschlüsseln waren … Die Fetzen, die man tatsächlich verstehen konnte, waren überaus obszön, selbst für die militärisch abgehärteten Ohren des Majors.
Besorgt, dass die Damen an Mr. Nortons Reminiszenzen Anstoß nehmen könnten (vor allem diejenigen, deren Ehre durch die Ehe unbefleckt geblieben war), brachte ihm der Major eines Tages ein Arithmetikbuch aus dem Besitz der Zwillinge, das er zufällig in einem seit dem vorigen Winter nicht mehr geleerten Papierkorb entdeckt hatte. Mr. Norton nahm es erfreut, und in den wenigen Tagen, die ihm noch blieben (bis seine Familie ihn holte und in eine angemessenere Bleibe brachte) rezitierte er unablässig mathematische Rätsel und präsentierte sogleich deren Lösung, bevor er sich dann dem nächsten zuwandte. Der Major blieb manchmal bei ihm und lauschte dieser Litanei, und eine der Aufgaben blieb ihm besonders im Gedächtnis. Es ging um einen Mann, der nicht schwimmen konnte und soundsovielhundert Meter vom Land entfernt in einem leckgeschlagenen Ruderboot
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