Troubles (German Edition)
ihn; dann erhob sie einen der beiden Stöcke mit zitternder, arthritischer Hand. Die Messingspitze zeichnete eine schwankende Acht ein wenig oberhalb seines Kopfes. Er verstand das als Aufforderung, weiter nach oben zu gehen.
Er war selbst kein junger Mann mehr. Er hatte Schmerzen in der Brust. Sein Blutdruck war zu hoch. Schließlich hatte er ganz unten angefangen und sich alles, was er heute war und hatte, selbst erarbeitet. Er war aufgegangen wie ein Kuchen mit seinem Mehl, sagten die Leute in Kilnalough.
»Ja, dann sollte ich am besten …«
Jetzt war er wieder allein, und irgendwie hatte er einen Weg in das nächsthöhere Stockwerk gefunden. Er wusste das nur deswegen, weil er an einem erstaunlich sauberen Fenster innegehalten hatte, von wo er zur Auffahrt hinabblickte und dort Edwards Daimler sah. Es regnete heftig – so heftig, dass eine Sprühwolke von Dach und Motorhaube des Wagens aufspritzte. Wo war er? Wann hatte es angefangen zu regnen? Er sollte sich nicht aufregen, denn dieser Tage verschwomm ihm dann immer alles vor den Augen, das Blut rauschte ihm in den Ohren, und er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Mal überlegen – der Wagen hatte vorn vor dem Haus gestanden, daran erinnerte er sich. Und das große Treppenhaus mit dem Kronleuchter war ebenfalls auf der Vorderseite des Hauses … er musste sich also ganz in der Nähe der Treppe befinden.
Ihm blieb fast die Luft weg vor Wut, als er sich umsah und feststellte, dass dem nicht so war. Weit und breit keine Treppe. Das war unfair und verächtlich – ein echter Britentrick, genau die Art von heimtückischem, hundsgemeinem … heilige Muttergottes! Jetzt hätte er gern ein Fenster eingeschlagen; er hatte sogar mit dem schweren Eschenholzknauf seines Regenschirms schon ausgeholt, um die Scheibe vor sich zu zerschmettern. Doch der Gedanke, dass der Engländer es als schlechten Stil auffassen würde, hielt ihn davon ab. Außerdem war das Fenster auch schon zerbrochen … oder besser gesagt, es war offenbar zu einem früheren Zeitpunkt zerbrochen worden, denn jetzt fehlte die Scheibe ganz. Er selbst konnte das nicht gewesen sein. Es waren keinerlei Splitter mehr im Rahmen.
Deswegen
hatte es so sauber ausgesehen. Außerdem sah er jetzt, dass der Regen auch auf das Fensterbrett spritzte und auf dem ausgebleichten karminroten Teppich (mit kleinen, eingewebten dreizackigen Kronen) schon einen halbmondförmigen Fleck gebildet hatte.
Nachdem er sich ein wenig erholt hatte, setzte Mr. Noonan seinen Weg entlang des mit Teppich ausgelegten Ganges fort (während Edward verdrossen eine Etage tiefer nach ihm suchte) und schaute zu den offenen Türen der vielen Zimmer, an denen er vorüberkam, hinein – offenbar machte sich niemand hier die Mühe, Türen zu schließen –, betrachtete Doppelbetten, riesengroß, ein wahres Sündenbabel, keine Spur von Frömmigkeit, Waschbecken, Handtücher steif wie Papier gestärkt und grau vom Staub. Und in so ein Haus sollte seine einzige Tochter einheiraten!
In einem Raum sah er einen riesigen Vorrat an irdenen Wärmflaschen, vielleicht zwei- oder dreihundert davon. In einem anderen hatte jemand an einer improvisierten Leine Wäsche aufgehängt und dann vergessen – die Kleider hingen trocken und voller Mottenlöcher daran. In wieder einem anderen hörte er Stimmen. Er blieb stehen und horchte … nein, das war wohl doch eine Täuschung gewesen (im gleichen Augenblick warf Edward einen Blick in den Raum direkt darunter). Doch hinter der nächsten Tür vernahm er nun eindeutig Stimmen, und so öffnete er sie hoffnungsvoll und trat ein. Diesmal fand er sich in keinem Hotelzimmer, sondern auf einer Galerie, die oben unter der Decke rund um einen großen Raum voller Bücher verlief. Die Stimmen kamen von unten. Er spähte über das Geländer (gerade als Edward, der sich nun wieder entfernte, den Weg in Richtung Westflügel einschlug).
Unten saßen auf einem Polstersofa zwei identische Mädchen mit Büchern in der Hand. Gegenüber, in einem Lehnstuhl, doch sehr aufrecht, saß eine kleine alte Dame, eine Spitzenhaube auf dem Kopf. Ihre trüben Augen waren auf die Mädchen gerichtet, ihre Hände, die nie stillstanden und anscheinend unabhängig von ihrem übrigen Körper arbeiteten, strickten unablässig an einem Strickzeug in ihrem Schoß.
»Sitzt du auch gerade, Charity?«
»Ja, Oma.«
»Faith?«
»Ja, Oma.«
Die zwei Goldschöpfe drehten sich zueinander und streckten die Zunge heraus.
»Eine Dame fläzt sich
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