Twin Souls - Die Verbotene: Band 1
gleichmäßig. Die Atmung eines schlafenden Mädchens. Soweit unser Körper wusste, schliefen wir ja auch. Jedenfalls schlief Addie, und das war alles, was zählte. Wie lange war es her, dass meine Wut unsere Atmung beschleunigt hatte, meine Angst unser Herz zum Rasen brachte, meine Scham uns erröten ließ? Natürlich war Addie normalerweise ebenfalls wütend, verängstigt oder beschämt, wenn ich es war, daher spielte es keine sehr große Rolle.
Das jedenfalls hatte ich –
Eine Sirene schnitt meine Gedanken ab. Unsere Augen öffneten sich schlagartig.
Eine Warnleuchte an der Decke blinkte rot … rot … rot.
Mein Verstand setzte aus, nur um im nächsten Moment wie fieberhaft zu arbeiten.
Ein Feuer? Ein Gasleck?
Unser Atem stockte.
Etwas war nicht in Ordnung.
‹Addie. Addie, wach auf!›
Nichts. Nichts, bis auf die wild heulende Sirene und das blinkende Licht.
‹Addie!›
Vielleicht würde jemand kommen. Ja. Ja, auf jeden Fall. Jemand hatte uns hierhergebracht. Sie würden sich daran erinnern. Sie würden kommen. Sie würden uns retten.
Weil Addie schlief und ich mich nicht bewegen konnte.
Unser Blick huschte immer wieder panisch zur Tür, aber der Lichtstreifen blieb hell und gleichmäßig. Niemand stand vor der Tür. Niemand war da.
Aber sie würden kommen. Das mussten sie einfach.
‹Oh, bitte. Addie!›
Ich meinte, das Trampeln von Füßen zu hören – Stimmen, die in der Ferne riefen, brüllten. Leute, die evakuiert wurden. Leute, die rannten. Von uns wegrannten. Es war plötzlich wieder wie im Bessimir Museum, wie am Tag der Razzia.
‹Du musst aufwachen, Addie. Du musst um Hilfe rufen …›
Weitere Stimmen, direkte vor unserer Tür diesmal. Gemurmel, dann Schritte, die sich schnell wegbewegten.
‹Nein›, rief ich. ‹Nein, nein, nein, Bitte. Kommt zurück. Kommt zurück.›
Ich hatte schon einmal gesprochen. Ich konnte es jetzt wieder tun. Wenn ich es doch nur geschafft hätte, mich zu konzentrieren.
‹Bitte! Hier drin. Hier drin!›
Unsere Lippen blieben verschlossen, unsere Zunge wie gelähmt. Nicht ein Ton. Immer weiter heulte die Sirene. Immer weiter blinkte die Lampe. Rot-weiß-rot-weiß-rot-weiß-rot …
Ein Gurgeln entrang sich unserer Kehle, gefolgt von einem Wort – einem schwachen, geflüsterten Wort:
Hilfe.
»Bitte. Bitte, Hilfe!«
Unser Körper zitterte. Ich erkämpfte mir Atemzug um rasselnden Atemzug, rief dazwischen so laut ich konnte: »Irgendjemand! Hier drinnen! Ich kann nicht raus!«
Es hätte mich jemand hören müssen. Es hätte jemand kommen müssen. Aber es kam niemand.
Es waren erst ein paar Minuten vergangen, seit der Alarm losgegangen war. Nicht genug, dass schon alle weg sein konnten. Nicht genug, dass wir hier allein sein konnten.
Richtig?
Ich kreischte, jedes Wort war vergessen. Unsere Kehle spannte, so fremd war ihr der Klang – Addie kreischte nie auf diese Weise. Niemand kam. Niemand würde kommen.
‹Addie!›, schrie ich ein letztes Mal.
Sie war nicht da. Sie würde uns nicht bewegen. Und ich konnte es nicht.
Aber ich würde es müssen.
Ich konzentrierte mich so fest wie möglich auf unsere Finger. Darauf, sie zu krümmen. Darauf, unsere Ellbogen anzuwinkeln, damit unser Körper sich auf sie stützen konnte. In der Dunkelheit, mit einem Kopf, der sich nicht regte, konnte ich nicht erkennen, ob ich mich tatsächlich bewegte oder es mir nur einbildete.
Mir war nicht klar, was vor sich ging, bis unsere Nägel sich in die Bettdecke gruben.
Keine Zeit, darüber nachzudenken. Keine Zeit, innezuhalten. Unser Herz pochte so heftig, dass es unmöglich noch lange in unsere Brust verharren konnte. Entweder würde es bersten oder ich würde bersten – und weder die eine noch die andere Vorstellung war besonders verheißungsvoll.
Ich krümmte unsere Finger in dem Bemühen, einen Weg zu finden, uns hochzustemmen. Unsere Arme wollten nicht gehorchen. Sie bewegten sich zu langsam, ruckartig, während meine Kontrolle mal ab- und mal zunahm. Unsere Ellbogen zuckten an unseren Seiten, angewinkelt wie Hähnchenflügel. Mit einem stillen Schrei warf ich mich nach vorn und setzte mich auf.
Die Welt drehte sich. Ich wollte schreien oder lachen oder weinen. Für nichts davon war Zeit. Die Sirene heulte, das Licht blinkte.
Ich musste hier raus.
Aufzustehen war nicht weniger herausfordernd. Unsere Muskeln waren stark – ich hatte sie nur nicht unter Kontrolle. Ich taumelte, dann fiel ich zurück aufs Bett und begann von Neuem. Das zweite Mal war es
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