Ueberdosis
wußten, was sie von Fast Food zu halten hatten.
Markesch ließ sich drei Cheeseburger, einen Kaffee und eine Cola geben und erkämpfte sich unter skrupellosem Einsatz seiner überlegenen Körperkraft einen Platz am Fenster. Die Cheeseburger waren eingepackt, als sollten sie den Dritten Weltkrieg überstehen, und als er endlich die Styroporverpackung geknackt hatte, waren sie kalt.
Während er mit Todesverachtung aß, dachte er über sein Gespräch mit Susanne Großmann nach.
Zweifellos hatte sie in allen wichtigen Punkten gelogen und in allen unwichtigen Punkten nur die halbe Wahrheit gesagt. Sie war jung, schön und reich, und hatte alles, was das Leben auf dieser Welt lebenswert macht – genau wie ihr Freund Michael Maaßen. Aber ihr Freund war tot und sie hatte eine tödliche Angst davor, daß die Wahrheit über seinen Tod herauskam.
Warum?
Weil man sie unter Druck gesetzt hatte? Dieser Spanier? Oder weil sie in den Fall verwickelt war und fürchten mußte, dafür belangt zu werden?
Markesch spann den Gedanken weiter. Angenommen, Michael Maaßen war nicht wirklich ein Junkie gewesen; angenommen, er hatte das Heroin nur verkauft. Ein gewinnträchtiges Geschäft, das man ohne großen Zeitaufwand betreiben konnte. Zwei Aspekte, die für einen verwöhnten jungen Mann aus reichem Hause besonders anziehend sein mußten. Vor allem, wenn er sich von seiner besitzergreifenden Mutter finanziell unabhängig machen wollte, ohne sein Studium durch die Mühsal des legalen Broterwerbs zu vernachlässigen. Angenommen, Michael war dabei einigen Profis ins Gehege gekommen, berufsmäßigen Dealern, die es aus naheliegenden Gründen nicht schätzten, wenn ihnen ein Außenseiter Konkurrenz machte. Und weiter angenommen, diese Profis hatten die lästige Konkurrenz nach Art der Branche beseitigt, den Mord als typischen Junkie-Tod getarnt und etwaige Mitwisser – wie Susanne Großmann – durch Drohungen zum Schweigen gebracht …
Der rabiate Flamencotänzer paßte in diese Theorie.
Markesch wischte sich die Finger an einer Serviette ab und schlürfte den lauwarmen Kaffee.
Aber welche Rolle spielte Lukas Hommberg? Warum hatte er versucht, ihn von Nachforschungen über den Tod seines Neffen abzuhalten? Um seine Schwägerin auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, wie er behauptete? Oder weil er befürchten mußte, daß Markesch Dinge aufdeckte, die er lieber geheimhalten wollte? Er dachte an die Geschichte mit dem versuchten Morphindiebstahl. Vielleicht war auch das nur eine Halbwahrheit gewesen. Vielleicht hatte Michael Maaßen gar kein Heroin, sondern Morphin verkauft. Aus dem Giftschrank der Maaßen-Pharma. Mit Wissen – oder Beteiligung – seines sauberen Onkels. Dies ließ die nächtlichen ›Experimente‹ im Labor der Firma in einem anderen Licht erscheinen; als Vorwand, um unauffällig den Giftschrank plündern zu können.
Hommberg, dachte Markesch. Es wird Zeit, daß ich mich mit ihm befasse. Möglicherweise hat Archimedes etwas über ihn herausgefunden.
Zwei Dinge sprachen gegen seine Theorie: Die verschwundene Uhr und die Tatsache, daß die Obduktion von Michaels Leiche keine Spur von Gewaltanwendung ergeben hatte. Warum sollte der Mörder so verrückt gewesen sein, die Rolex zu stehlen und so womöglich den sorgfältig inszenierten Junkie-Tod als Täuschungsmanöver auffliegen zu lassen? Und warum hatte sich der Junge nicht gewehrt, als der Mörder ihm die tödliche Spritze verabreicht hatte?
Unter Umständen gab es für das Verschwinden der Uhr eine harmlose Erklärung, aber … Zum Teufel, dachte Markesch, wer wehrt sich nicht, wenn es ihm ans Leben geht? Und dann noch auf der Toilette des Intercity-Restaurants, praktisch in aller Öffentlichkeit? Nur jemand, der nichts mehr zu verlieren hat, dem sein Leben nichts mehr bedeutet, doch Michael hatte alles zu verlieren, was ein Mensch überhaupt verlieren kann. Viel Geld und eine gesicherte Zukunft, eine hübsche Freundin und einen Beruf, den er leidenschaftlich liebte.
Er seufzte und sah aus dem Fenster.
Auf der anderen Seite der Fußgängerzone, halb von den hin und her wandernden Schirmen verdeckt, stand der Spanier und starrte zu ihm hinüber.
Er mußte ihn verfolgt haben.
Er beobachtete ihn.
Markesch wandte rasch den Blick ab, trank einen Schluck Cola und dachte fieberhaft nach. Er mußte den Spanier irgendwohin locken, wo er sich mit ihm unterhalten konnte, ohne daß tausend Passanten in der Nähe waren, die diese spezielle Form der Unterhaltung
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