Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
Polizei klingelt und Petras Straftaten aufzählt. Zweifacher Diebstahl am Kind. Zweifacher Niederschlag am Mann.
»Du hast alten Thunfisch im Haar«, sagt sie.
Petra schaut den Düsseldorfern zu, nimmt einen Schluck aus einer Kölschflasche, grinst zufrieden und sagt: »Poseidon hat’s nicht gestört.«
•Der Karneval
Alkoholpegel: ★ ★ ★ ★
Drama: ★ ★ ★ ★ ★
Erotik: ★ ★ ★ ★
Spaß: ★ ★ ★ ★ ★
Was man erwartet
Nichts. Als deprimierte Antikarnevalistin regt man sich bereits darüber auf, dass die Freundin das Rollo hochzieht, und möchte mit Funkenmariechen und Spießern in militärisch geordneten Laufgruppen nichts zu tun haben.
Was tatsächlich passiert
Grand Jeck Auto. Man darf am helllichten Tag trinken wie ein durstiges Gnu, Kinder bestehlen, mit Pralinenschachteln auf Prominente werfen, den Exfreund ertauben und einen Zwanzigjährigen vernaschen, als sei die Welt nur ein Spiel.
Was man tun sollte
Am helllichten Tag trinken wie ein durstiges Gnu, Kinder bestehlen, mit Pralinenschachteln auf Prominente werfen, den Exfreund ertauben und Zwanzigjährige vernaschen, als sei die Welt nur ein Spiel. Zumindest, wenn man deprimiert ist. Nicht nur am Rosenmontag.
Typischer Song
»1900 Johr steiht uns Kölle am Rhing« von Fritz Weber/Zwei Botze Vier Botze
Typisches Getränk
Kölsch
Der Weg ist die Party, Teil 2
Der Weg zur Party hin und von der Party heim ist das Fest der steten Bewegung. Eine Feier des Sehens und Gesehenwerdens. Eine Begegnung von Gleichgesinnten. Ungünstig ist nur, dass nicht jedes Outfit seinen Zweck erfüllt …
Mit Augenringen wie schwarze Gummidichtungen steht Kilian am Sonntagmorgen in der U-Bahn, eine Flasche Bier in der Hand. Neben ihm, auf den runtergeklappten Sitzen für Kinderwagen und Fahrradfahrer, sitzen sechs Party People, die ebenfalls erst jetzt nach Hause fahren. Ein junger Mann trägt eine Brille aus gelbem Plastik, die statt Gläsern nur Rillen hat. Seine Freundin hat die Ohren eines Pandabären, oben auf ihrer Kapuze aus weißem Frottee. Der junge Mann nimmt die Rillenbrille ab und schaut mit schmalen Augen vom Sitz rauf zu Kilian. Er ist skeptisch, weil Kilian zwar auch erst um 7:30 Uhr nach Hause fährt, dabei aber noch stehen kann. Seine Augen mustern die ausgelatschten Turnschuhe, die dunkle Jeans und die braune Flasche. Überzeugt ist er erst, als er Kilians obere Hälfte sieht. Eine zeltgroße weiße Gangsta-Rap-Jacke und eine gefälschte Goldkette über einem T-Shirt, auf dem in absichtlich verzerrter Schrift Wohl gestern gesoffen? steht. An der Wange trägt Kilian außerdem die Abdrücke von Lippenstift spazieren. Einen kompletten Kussmund, wie mit der Schablone aufgesprüht und so knallrot, als hätte eine rollige Kreuzbergerin namens Coco den Kosmetikschrank ihrer 50er-Jahre-Rock ’n’ Roll-Großmutter geplündert.
Die Augen des Rillenbrillenmanns bleiben schmal, aber es zeigen sich lautlos Lachfalten. Er streckt seinen Arm aus, der ebenfalls in einer Hand mit Flasche endet, und hält diese Kilian zum Anstoßen hin. Kilian lässt das Braunglas klimpern.
»Warst wohl auf einer Bad-Taste-Party, wa?«, berlinert die Rillenbrille.
»Kann man so sagen«, antwortet Kilian.
Der Rillenbrillenmann zwinkert und deutet auf Kilians Wange: »Ganz schön horny, die Weiber da, oder?«
Kilian schmunzelt.
Der Rillenbrillenmann setzt sein Gestell wieder auf. Das Gesicht verschwindet hinter den Querstreben.
Merke ➙ Egal welche Form von Party man in einer Großstadt besucht – das Wichtigste sind Hin- und Rückweg. Man zeigt und beobachtet sich in den Bahnen, Bussen und auf dem Bürgersteig. Das Gefühl, sich gegenseitig als Partyvolk zu erkennen, vereint, trägt der eine auch eine Pandakapuze und der andere gelbe Shutter Shades. Die Party allein trägt den Gedanken: Das sind wir. Die, die noch am Leben sind.
Die Bauweste liegt auf der Bettdecke als sage sie zu Kilian: »Komm, trau dich!« Neben ihr liegt der Helm. Ich könnte wirken wie einer von den Village People, denkt Kilian, entspräche der Rest der Kleidung nicht eher dem Modell »hipper Existenzphilosoph«. Schwarze, enge Jeans, schwarzes T-Shirt, schwarze Hornbrille. So wirkt er bereit für den Untergrund, die Elektro-Avantgarde im stillgelegten Schacht.
Es ist 19:30 Uhr, als Kilian die Bahn betritt. Der Samstagabend ist noch jung, aber die Party People sind schon auf dem Weg. Zwei Mädchen steigen ein, achtzehn, neunzehn Jahre jung. Die eine dunkelhaarig, angenehm
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