Und jeder tötet, was er liebt
Sie, überall ist dieser schwarze Strich auf dem Papier, genau wie bei dem Brief.“
Weber saß mit Michael Antonowich in der Bar seines Hotels. Sie beide hätten vielleicht gute Freunde werden können, doch es war mehr als unwahrscheinlich, dass sie einander wiedersehen würden. Weber nahm sich vor, das Buch von Čechov zu lesen, gleich im Flugzeug wollte er damit beginnen. Zu Hause würde er es vermutlich in irgendeine Ecke legen und vergessen.
„Wann geht Ihre Maschine?“
„Wir haben noch genug Zeit für ein Bier. Budweiser?“
„Nein, danke. Kommen Sie Lukas, ich zeige Ihnen lieber noch den Katharinenpalast, danach bringe ich Sie zum Flughafen.“
Tom Greve stand am Spielfeldrand und schaute sich das Training der Profis an. Er war ein großer Fan dieser Mannschaft, doch heute ging es ihm nicht um Fußball.
„Jan!“ Sein Bruder drehte sich um und winkte ihm zu.
„Kann ich dich nachher kurz sprechen?“
Sie suchten sich eine stille Ecke in der Cafeteria des Vereinslokals, und Jan Greve beobachtete seinen älteren Bruder. Unter seinen Augen lagen tiefe Schatten, was entweder von zu wenig Schlaf herrührte oder von großen Sorgen zeugte. Wahrscheinlich war es beides, dachte Jan.
„Ich brauche jemanden, mit dem ich reden kann. Anna hat einen Freund.“
„Sicher?“
Jan hoffte, dass es glaubwürdig geklungen hatte. Nur jetzt keinen dummen Fehler machen, dachte er. Um welchen Mann ging es hier, um ihn? Hatte Anna Tom etwa von ihrem Kuss erzählt?
„Ich weiß nicht, wer er ist, aber dass sie in einen anderen verliebt ist, hat sie mir selbst gesagt. Du lebst allein, doch bitte stell dir einen Moment lang vor, es wäre nicht so. Stell dir vor, du fühlst dich geliebt und gebraucht, dein Leben ist genau so, wie du es gewollt hast. Du lebst mit einer Frau, mit der du alt werden möchtest, aber im nächsten Augenblick ist alles zerstört. Du fällst in ein tiefes Loch, suchst nach dem Sinn des Ganzen, und es will dir keiner einfallen. Genauso fühle ich mich jetzt.“
„Ich habe mich bisher noch nie richtig auf einen anderen Menschen eingelassen. Nicht weil ich nicht gewollt hätte, mir ist die richtige Frau einfach noch nicht über den Weg gelaufen“, log Jan. „Sich zu verlieben kann jedem passieren. Ich halte eine kleine Affäre ab und zu nicht für das Ende der Welt. Ich glaube sowieso nicht daran, dass es mit einem Menschen eine lange, täglich gelebte Liebe und gleichzeitig prickelnde Leidenschaft geben kann. Eine Seite kommt immer zu kurz.“
„Wenn es nur das wäre! Aber da steckt mehr dahinter, Anna hat sich total verändert. Sie liebt mich nicht mehr und will es sich nur nicht eingestehen. Seit wir zusammen sind, bin ich ihr treu gewesen. Ich hatte nie Lust, mich auf ein Abenteuer einzulassen. Warum sollte man auch, wenn man nichts vermisst. Möchtest du noch etwas?“
Jan winkte ab. Tom holte sich eine Grappa vom Tresen und trank das Glas in einem Zug leer.
„Ich könnte mir die Wohnung über der Druckerei herrichten, was meinst du?“
„Tom, ich stecke nicht in deiner Haut.“ Gerade bemerkte Jan, wie banal und hohl seine Worte geklungen haben mussten. „Aber wenn du beim Umzug Hilfe brauchst, ruf mich an, und auch sonst, wenn dir die Decke auf den Kopf fällt.“
Anna Greve und Günther Sibelius saßen, jeder für sich über einen Berg Akten gebeugt, einander gegenüber. Seit einer ganzen Weile beschäftigten sie sich nun schon mit den Unterlagen, und der Kommissarin begannen die Zahlen langsam vor den Augen zu tanzen. Sie verstand nicht viel von dem, was sie las.
„Wir müssen überprüfen, was es mit der Liste von Olaf Maas auf sich hat. Vielleicht bringt uns das weiter“, sagte sie.
„Kommt alles, aber zuerst brauchen wir einen Anhaltspunkt in diesen Unterlagen hier. Was ist denn das?“ Günther Sibelius pfiff durch die Zähne und schob Anna ein Blatt Papier hinüber. „Aha, scheint eine Auflistung der Planungshonorare zu sein.“
„Und was ist damit nicht in Ordnung?“
„Wenn Sie mich fragen, sind hier Leistungen doppelt und dreifach abgerechnet worden. Warum gibt es zum Beispiel für die Planung der Dachkonstruktion drei Rechnungen, obwohl an der ursprünglichen Fassung kaum etwas geändert worden ist? Wenn ich es recht erinnere, ist der erste Entwurf ziemlich genau übernommen worden. Konnte man doch in allen Zeitungen nachlesen. Ich glaube, wir sind da einem handfesten Betrug auf der Spur.“
Günther Sibelius überlegte, bis er zu einem Schluss kam. „Da
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