Und plotzlich ist es Gluck
ihm Red über meinen Babybauch hinweg die Hand hin. John ergreift sie und lässt zu, dass ihm Red die Hand schüttelt, und zwar bemerkenswert kräftig in Anbetracht der Umstände.
»Okay«, sagt Pete und blickt von einem zum anderen. Er hat meine Verwandlung von der tugendhaften Frau zum leichtlebigen Flittchen noch nicht ganz verarbeitet. Wahrscheinlich brüstet er sich oft für seine gute Menschenkenntnis. Jetzt tritt er neben mich und drückt mir aus einer Tube ein paar Kringel Gel auf den Bauch.
John und Red schlagen sich einstweilen Höflichkeiten um die Ohren.
»Ich versperre dir doch hoffentlich nicht die Sicht?« …
»Ja, das ist auch für mich das erste Mal.« …
Pete räuspert sich, um sich Gehör zu verschaffen. Sogleich kehrt Ruhe ein. Wir konzentrieren uns auf den Bildschirm.
»Wollen Sie das Geschlecht des Babys wissen?«, erkundigt sich Pete, während er die Sonde über meinen Bauch gleiten lässt.
Wieder machen John und Red zugleich den Mund auf.
»Ja«, sagt John.
»Scarlett weiß es bereits«, sagt Red.
Pete mustert mich, und ich nicke. Ich weiß es, aber den Fachleuten ist es unheimlich, wenn man zu viel weiß.
Er bewegt die Sonde etwas nach unten, und plötzlich erscheint Ellen auf dem Bildschirm. Als ich sie sehe, erkenne ich sie, als hätte ich sie schon einmal gesehen. Ehe ich weiß, was ich tue, habe ich schon die Hand ausgestreckt und berühre ihr süßes Profil auf dem Monitor.
»Würden Sie bitte die Finger vom Bildschirm nehmen?« Pete versucht, sich nicht anmerken zu lassen, dass er meine Hand am liebsten wegfegen und mich zur Strafe eine Weile in der Ecke stehen lassen würde. Wieder fühle ich Johns Blick auf mir. Er starrt mich an, als hätte er keine Ahnung, wer ich bin.
Doch hier, in der Stille dieses Raumes, mit Ellen, die auf
ihrem Rücken in mir ruht wie eine Mondsichel, habe ich mehr denn je das Gefühl, ich selbst zu sein.
»Es ist ein Mädchen«, verkündet Pete schließlich.
»Ellen«, murmeln wir alle wie aus einem Mund, als wäre ihr Name ein Gedicht, das wir auswendig aufsagen können.
39
»Haben sie dir keine Fotos von Ellen mitgegeben?«, will Filly wissen, nachdem sie mit ihrer üblichen »Morgensorryfürdieverspätung«-Begrüßung, zwei Bechern Erdbeermilch, einem Sandwich mit gebratenem Speck (für sich selbst) und einem Schokoladen-Karamell-Eis (für mich) mein Büro betreten hat.
»Doch.« Ich schiebe die winzige Schwarzweiß-Aufnahme über den Tisch.
»Nur eines?«
»Naja, ich habe drei bekommen, aber John und Red haben je eines mitgenommen.«
»Liiieber Himmel«, stöhnt Filly. »Das muss ja mindestens so peinlich gewesen sein, wie wenn Monica Lewinsky und Hillary Clinton gemeinsam im Aufzug fahren.«
Ich überlege. »Ich gebe zu, am Anfang war die Atmosphäre schon ein wenig … angespannt. Aber kaum hatten wir Ellen gesehen, war plötzlich alles anders.«
»Was soll das heißen?«
»Naja, dass wir alle vergessen haben, wie wir in dieser Situation gelandet sind, und uns stattdessen auf die Situation konzentriert haben. Auf Ellen.«
»Hm … Interessant.« Filly studiert das Foto.
»Was? «
»Sie hat Johns Nase.«
»Hat sie nicht. Sie hat eine Babynase. Johns Nase ist lang und schmal und spitz.«
»Ja, sie ist nicht gerade sein schönster Körperteil«, stellt Filly fest.
»Willst du etwa behaupten, Ellen hätte eine hässliche Nase?« Und das aus Fillys Mund? Das kann ich nicht glauben.
»Um Himmels willen, nein. Ich bin doch ihre Patentante, und als solche gehört es zu meinen Aufgaben, mit ihr Klamotten shoppen zu gehen und ihr zu sagen, dass sie eine wunderhübsche Nase hat. «
Genau genommen beschränken sich die Pflichten einer Patentante nicht auf Klamotten-Shoppen und Komplimente, aber man kann von Filly nicht erwarten, dass sie das weiß. Sie bezieht ihr Wissen zum Thema Religion aus dem Monty-Python-Film Das Leben des Brian, den sie immerhin siebenmal gesehen hat.
»Du musst ihr doch keine Kleider kaufen«, wehre ich etwas panisch ab.
Filly trägt heute einen kanarienvogelgelben Overall und dazu lila Clogs, eine Farbkombination, die auf das menschliche Auge ungefähr so beruhigend wirkt wie ein Autoalarm auf die Ohren.
Filly betrachtet das Bild erneut. »Sie hat sehr lange Finger. « Das ist mir auch schon aufgefallen. Ellen hat während der Untersuchung nämlich mit den Händen gewedelt, als würde sie ein unsichtbares Orchester dirigieren. Auf dem Foto hat sie die linke Hand zu einer Art High Five erhoben, so dass
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