Unheimliche Begegnungen (German Edition)
Waren es bereits die Geister der Mitternacht?
Er sah gen Himmel, um sich nach einem Stern zu richten, den die Arganonier des Nachts als Zeitmesser nahmen, wenn sie außerhalb der Stadt waren und nicht wussten, wie weit es noch bis Toresschluss war. Der Stern wanderte von einem Horizont zum anderen. Vinc sah an dem Stand, dass er sich fast in der Mitte des Himmelsgewölbes befand und somit kurz vor Mitternacht sein musste.
Wieder spürte einen feinen Luftzug. Er griff nach seinem Torsarok und verteilte einige Hiebe nach allen Richtungen. Er wusste, es konnten auch seine angespannten Nerven sein, die diese Luftbewegung vorgaukelten. Er war auch Realist genug, um zu wissen, wenn es sich um einen Geist handelte, er ihn niemals verletzen, geschweige denn töten könnte.
Er sah neben sich einen Stofffetzen liegen und da kam ihm der Einfall, mit ihm den eigenartigen Dolch abzudecken, so dass er nicht mehr den Gehirn mordenden Strahlen ausgesetzt war.
Er schlich stets auf eine sichere Deckung bedacht zum Dom, lauschend, ob nicht seine mächtige Glocke die Mitternachtsstunde bald ankündigte.
„Was schleicht er denn um diese Zeit umher? Weiß er nicht, dass es bald Mitternacht ist und jeder in seinem Haus sein muss?“ Diese Worte stammten von einem nobel gekleideten Herrn und lösten bei Vinc einen gehörigen Schrecken aus.
Der Mann trat vor ihm aus dem Dunkel und sah ihn an.
Vinc versuchte durch gesenkten Kopf, sich seinen musternden Blicken zu entziehen. Doch es war schon zu spät.
„Ihn kenne ich doch. Ist er nicht der gesuchte Junge?“ Die Sprache zeugte von einem gebildeten Herrn aus besseren Kreisen.
Vinc befand sich in einer Zwickmühle. Sollte er diesen Mann mundtot machen? Doch in der Nähe des Domes würde irgendwann nach der Geisterstunde wieder Leben herrschen. In Angrenzung befanden sich einige Wirtshäuser, in denen die Gäste warteten, bis die Stunde der Geister vorüber war, um dann benebelt durch den Alkohol nach Hause zu gehen.
In Madison herrschte keine Sperrstunde für die Schenken, denn die Stadt besaß eine Garnison, in der viele Soldaten untergebracht waren und zu ihrem rauen Leben gehörte nun einmal das Vergnügen, das aus Suff, Weib und Gesang bestand. Wenn dann die Zecher nach Hause gingen, würde einer bestimmt den toten Herrn entdecken und Alarm schlagen. Im Umfeld der Kneipen befanden sich zwar einige Büsche, aber die benutzten die Zecher meist, um noch einmal zu urinieren.
Vinc Zögern war auch sein Verhängnis, denn im selben Moment rief der Herr nach den Wachen. Vinc wollte seinen Geisterdolch benutzen, doch als er nach ihm greifen wollte, hielt der Fremde ihm eine Schusswaffe entgegen.
„Lasse er es lieber sein, Bürschchen. Diese Pistole tötet dich sofort.“
Arganon kannte noch keine derartigen Waffen, deshalb war Vinc mehr als verblüfft, als er eine solche sah. Wer war dieser Mann, dass er etwas besaß, was es nur auf Erden gab?
Ihm fielen die Kreuze auf dem Friedhof wieder ein. Dieses christliche Symbol gab es auf Arganon nicht, denn wie bereits bekannt, herrschten hier die Ykliten mit ihrem Zwölfeck als religiöses Zeichen.
„Wer sind Sie?“ Vinc schalt sich ein Tor, diesen Satz ausgesprochen zu haben. Die Reaktion des Mannes kam darauf prompt und die Antwort gefiel Vinc überhaupt nicht: „Wer ich bin, ist unwichtig, aber wer er ist und woher er kommt, weiß ich nun. Indem er mich mit dem auf Arganon ungewöhnlichen Sie ansprach, weiß ich, er kommt von der Erde.“
„Genau wie sie. Aber wer sind sie?“
„Er wiederholt sich“, sagte der Mann und wendete sich an die zwei Wachen, die inzwischen angekommen waren. „Er ist der gesuchte Junge.“
Die beiden entwaffneten Vinc. Der vornehme Herr entfernte sich. Die Wachen riefen noch hinter her: „Wollt Ihr nicht mitkommen und die Belohnung abholen?“
Doch der Mann gab keine Antwort, sondern verschwand in der Dunkelheit wie ein Geist und plötzlich fiel Vinc wieder der Luftzug ein.
Er wurde zu dem Verlies geführt und in den Kerker geworfen. Es roch widerlich. Der Geruch ungewaschener Leiber und getrockneter Exkremente rief bei Vinc einen Brechreiz hervor. Doch nach einer Weile hatte er sich an diesen Gestank gewöhnt, wenn man das überhaupt konnte.
Seine Augen, vorher durch den Schein der Fackeln im Vorraum des Gefängnisses an Licht gewöhnt, brauchten einige Zeit, sich der Finsternis anzupassen.
Er hatte schon längst bemerkt, nicht allein in diesem Verlies zu sein. Von verschieden Seiten kam ein
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