Unter dem Schatten des Todes - Brack, R: Unter dem Schatten des Todes
Leben eines Volksvertreters. Der strenge Blick von Frau Berkemeyer wurde milder, ein wenig Skepsis blieb allerdings übrig. Immerhin gab sie die Auskunft, der Herr Doktor käme normalerweise gegen achtzehn Uhr. Klara schaute auf die laut tickende Standuhr hinter dem Pult, stellte vernehmlich fest, dass es ja nicht mehr lange sei bis dahin und setzte sich unaufgefordert aufs Sofa.
Die Wirtin bereute ihre freimütige Bemerkung, aber dann klingelte das Telefon. Sie wurde hektisch, redete hastig und wandte sich, nachdem sie aufgelegt hatte, an das Mädchen, das auf den Knien lag und ächzend in einer Ecke herumwischte.
»Lisbeth, gehen Sie runter, die Wäsche kommt gerade … wie immer zur falschen Zeit.«
Die Angesprochene kroch unter dem Tisch hervor, stieß sich den Kopf, die Statue wackelte bedrohlich. Sie deutete auf ihre schmutzige Schürze, hielt die nassen Hände hoch und jammerte, das gehe nun wirklich nicht, so könne sie doch nicht auf die Straße und außerdem, die schöne saubere Wäsche.
Ungehalten und verbissen machte sich Frau Berkemeyer selbst auf den Weg.
Lisbeth wischte eilig näher zu Klara hin und begann auf Knien mit ihr zu reden, wobei sie so tat, als würde sie weiter sauber machen.
»Wenn’s ums Menschliche geht«, sagte sie genüsslich, »sind Sie bei Dr. Albrecht genau richtig. Der ist ja bei den Hitler-Leuten, die es mit der Moral sehr genau nehmen … aberdann ist auch ein Herr Doktor nur ein Mensch, und wenn die Frau so weit weg ist im Thüringischen, da sucht sich auch ein studierter Mann seinen Trost in der Nähe.«
»Bei Ihnen?«, warf Klara ein.
»So ein halbes Hemd doch nicht! Aber versucht hat er’s schon. Vielleicht hätte es sich ja ausgezahlt, aber die Marie, die er sozusagen näher kennen lernte und die dann gehen musste, weil das der Chefin nicht so passte, wobei sie ja dann wohl eher dem Herrn kündigen sollte, na aber es geht ja immer anders rum … Die Marie hat dann Sachen erzählt, da nimmt man doch eher Abstand von so einem … Und ehrlich gesagt, wenn Frau Berkemeyer nicht schön viel Miete von den Hitler-Leuten einstreichen würde, hätte sie ihn vielleicht doch hinauskomplimentiert …« Sie senkte die Stimme. »Und neulich war ja auch die Kripo da, wegen der Reichstagssache, dem Brand, meine ich.«
»Tatsächlich?«
»Ganz genau. Die haben uns alle verhört. Weil nämlich der Herr Dr. Albrecht an diesem Abend, als es dort gebrannt hat, hingegangen ist.«
»Das haben doch bestimmt viele gemacht.«
»Nee, nicht als Schaulustiger … Der hat den ganzen Tag hier krank im Bett gelegen, Frau Berkemeyer musste heiße Milch mit Honig und allerlei Kokolores machen, um ihn zu verhätscheln. Und dann abends um neun brennt der Reichstag und die Feuerwehr rückt an. Da springt er aus dem Bett und rennt hin, hat gerade noch den Anzug an, aber für einen Mantel hat’s in der Aufregung nicht mehr gereicht. Ins brennende Gebäude ist er gelaufen … danach hat ihn die Polizei befragt, die wunderten sich natürlich, wieso jemand sich freiwillig in Gefahr begibt … Aber anscheinend hatte er gute Gründe oder gute Ausreden, jedenfalls haben sie ihn nicht allzu lange gepiesackt. Gewundert hat mich nur, wieso niemand nach dem Mann gefragt hat, der ein paar Tage in dem Zimmer neben dem Herrn Doktor gewohnt hat … am Tag nach dem Brand war der wieder weg. Aber gefragt hat die Kripo nicht nach ihm, obwohl, ehrlich gesagt, der hat sich schon komisch verhalten, ging immer nur nachts raus undblieb tagsüber in seinem Zimmer … ein fescher Kerl eigentlich, nicht sehr groß, aber sportlich …«
Es klingelte mehrmals hintereinander. Lisbeth sprang auf und riss die Tür auf. Frau Berkemeyer trippelte herein mit einem Stapel weißer Tücher auf dem Arm.
»Lisbeth, so geht das wirklich nicht. Der hat ja die ganze Wochenlieferung dabei, Sie müssen sofort runter!«
Lisbeth schaute sie schuldbewusst an, vielleicht bereute sie ihre Redseligkeit. »Ich wasch mir nur schnell die Hände …« Sie eilte davon.
Frau Berkemeyers Blick fiel auf Klara und ihre Miene verfinsterte sich: »Hier können Sie nicht warten. Gehen Sie, das ist kein Wartesaal, Fräulein!«
Klara stand auf. Die Wirtin setzte ihren Wäschestapel auf einem Sessel ab. Lisbeth rannte an ihr vorbei ins Treppenhaus.
»Muss ich erst unfreundlich werden?«, sagte Frau Berkemeyer drohend.
In der Hoffnung, auf der Straße wieder das auskunftsfreudige Zimmermädchen zu treffen, verließ Klara die Pension. Unten standen die
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