Unter der Haut (German Edition)
Speicher zu kontrollieren?
Ohne finanzielle Unterstützung hätten wir meine Uniform für die Klosterschule nicht bezahlen können. Überall im Haus, auf Stühlen und Betten, lagen Faltenröcke aus schwerem braunem Serge mit Alpaka, leichte Baumwollblusen in Orange, elastische braune Gürtel, in denen sich bestimmt kein Knoten halten würde, weiße Panamahüte mit braunen und orangefarbenen Bändern, der braune Blazer, haufenweise schwere braune Unterhosen und unzählige Unterhemden und braune Socken. Allein der Anblick dieses ganzen Zeugs war deprimierend, aber zum Glück fingen die Ferien eben erst an, und vor mir dehnte sich die Zeit ins Unendliche.
Es muss in diesen Ferien gewesen sein, dass wir allen Familienmitgliedern Spitznamen nach Figuren aus A. A. Milnes Pu-Büchern verpassten, gerade als wären wir nie aus England fortgegangen. Mein Vater war Eeyore, mein Bruder Roo, meine Mutter Kanga – wer sonst? Ich, das rundliche, fröhliche Kind, war Tigger, und diesen Namen behielt ich, bis ich Rhodesien verließ, denn nichts konnte meine Freunde und Genossen davon abbringen, ihn zu benutzen. Spitznamen sind ein wirkungsvolles Mittel, um Leute auf Rollen festzulegen. Ich hieß Tigger Tayler, Tigger Wisdom und schließlich Tigger Lessing, wobei diese letzte Form noch weniger zu mir passte als die vorherigen. Und Genossin Tigger. Von Tigger erwartete man, dass sie keck, immer zu Scherzen aufgelegt und ungeschickt war, dass sie stets gute Miene zu allem machte, dass sie also über sich selber lachen, sich entschuldigen, den Clown spielen und Unfähigkeit eingestehen konnte. Tigger war extravertiert und diente somit als Schutz für mein wirkliches Ich: Tigger war ein Aspekt der oben beschriebenen »Gastgeberin«, ein gesundes, fröhliches Energiebündel.
Aber als ich in die Klosterschule musste, fuhr nicht Tigger los, sondern ein ängstliches, todunglückliches kleines Mädchen.
Mutter Patrick war nur ein Jahr nach dem ersten Pioniertreck, 1890 , mit ihren fünf Nonnen in die Kolonie geritten, wo sie unverzüglich ihre Klinik eingerichtet und wahrhaftig als Barmherzige Schwestern gewirkt hatten, so kann man es in den zeitgenössischen Berichten lesen. Mutter Patrick hatte auch das Dominikanerinnenkloster gegründet, und als ich dort hinkam, war sie eine hoch angesehene Frau, von der man, wie von ihren ursprünglichen Mitstreiterinnen, voller Ehrfurcht sprach. Von diesen Mitbegründerinnen waren meines Wissens Schwester Constantia und Schwester Bonaventura noch am Leben, und ähnlich wie die allenthalben aufgestellten Marienfiguren übten sie still, aber unverkennbar Einfluss aus. Diese ersten Nonnen waren vitale und abenteuerlustige junge Frauen gewesen, und die Büroschwestern, die ihre Nachfolge antraten, konnten ihnen nicht das Wasser reichen.
Das Kloster bestand aus einem zentralen Gebäude mit Seitenflügeln, die rundum von Granitschotterwegen umgeben waren. Wenn Erwachsene über Schotter gehen, ist es nur unangenehm an den Füßen, aber einem kleinen Kind fällt das Laufen schwer, und es muss genauso vorsichtig sein wie bei scharfen Steinen am Strand. Die Treppe zum Schlafsaal der kleinen Mädchen war steil, jede Stufe oberschenkelhoch. Die Kleinen kletterten auf Händen und Knien hinauf; um hinunterzukommen, mussten sie von Stufe zu Stufe springen, denn das Geländer war hoch über ihren Köpfen. Der Tag, an dem ich feststellte, dass ich Schritt für Schritt hinuntergehen konnte, der Tag, an dem ich einfach über den Schotter rannte, das waren Marksteine auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Dieser Schlafsaal (der über der Turnhalle lag), der Speisesaal, die Klassenzimmer, das Krankenzimmer waren das, was die Schülerinnen vom Kloster kannten. Zu den meisten Gebäuden hatten die Kinder keinen Zutritt, und sie kamen uns vor wie aus einer Gespenstergeschichte, mit weiten, düsteren Räumen, in denen die Nonnen mit ihren schwarz-weißen Ordenstrachten wie Schatten hin und her glitten. Die Nonnen schliefen ebenfalls in Schlafsälen, aber wir wussten, dass ihre Betten durch weiße Vorhänge voneinander abgeschirmt waren, sodass jede ihren kleinen kastenförmigen Alkoven hatte. Der Schlafsaal für die »Kleinen« war ein lang gestreckter, hoher Raum, in dem die Betten, im ganzen vierundzwanzig Stück, in drei Reihen standen, wobei jeweils das Kopfende des einen Bettes zum Fußende des gegenüberliegenden Bettes zeigte. Rechts und links war eine Reihe hoher Fenster. Dieser große Raum, vielmehr Saal, war bei
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