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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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kann man damit rechnen, dass er bei seiner Rückkehr die Hälfte seines Herzens fest versiegelt hat. Aber wir waren gute Kameraden. Bis ich mit fünfzehn von zu Hause fortging, zogen wir, sobald wir beide zur selben Zeit auf der Farm waren, in den Busch, als wären wir nie fort gewesen. Erst kürzlich – 1992  – war ich unweit des Ortes, wo ich aufgewachsen bin, im Busch. Die Bäume trieften gerade vor Nässe, denn es hatte geregnet, und es war wieder so, als wäre ich nie fort gewesen, ich war, wo ich hingehörte. Als Kinder planten und machten wir Ausflüge, entweder mit den Fahrrädern in die Ayreshire Hills, oder wir wanderten ohne Ziel umher, und die Hunde hechelten neben uns. Wir setzten uns unter einen Baum und beobachteten Vögel, Termiten, Käfer, Chamäleons – immer Chamäleons. Von denen heute nur noch wenige übrig sind. Wir beobachteten den ganzen Tag die tausend Dramen des Buschwalds und kehrten abends in das hohe, luftige Haus auf dem Hügel heim wie in ein Gefängnis. Es war uns zu eng. Gewöhnlich nahmen wir die Zweiundzwanziger mit, denn das hatten wir den Eltern versprechen müssen. Schließlich konnte es sein, dass wir einem Leoparden begegneten … aber obwohl auf den
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Leoparden lebten, habe ich in all den Jahren nur ein einziges Mal einen zwischen den Felsen verschwindenden Schwanz gesehen. Wie Schlangen sind auch die Leoparden klug genug, den Menschen aus dem Weg zu gehen. Meistens war Harry derjenige, der schoss: Dass Können vor Alter geht, hat seinen Sinn. Er war ein hervorragender Schütze, eindeutig besser als ich. Meistens schoss er Waldducker für die Familie zum Essen oder als Geschenke an die Farmarbeiter. Alle Farmerfamilien aßen so viel Wild, wie sie schießen konnten, weil es das Billigste war, genau wie die Afrikaner aus dem
compound
ihre Hunde auf Waldducker oder größere Antilopen hetzten oder sie mit geschickt geworfenen Steinen oder Katapulten oder Speeren zur Strecke brachten.
    Manchmal bat mich meine Mutter, ihr acht bis zehn Tauben für einen Eintopf oder eine Pastete zu schießen: In einigen Ecken der Farm gab es Tauben zu Hunderten. Später schoss ich ihr Perlhühner, zähe Vögel, die erst gekocht und dann gebraten oder geschmort wurden. Antilopen habe ich nie gern geschossen.
    Harry und ich redeten nicht über die Schule, und wenn wir es doch einmal taten, kicherten wir nur über die Lehrer. Wie komisch die Höllenfeuernonne wurde, wenn Tigger sie beschrieb. Wie hübsch und lustig die Streiche waren, die Harry als Neuer mit sich machen lassen musste. Aber das war nicht unsere gemeinsame Welt. Wir redeten über die Tiere, die unter uns lebten, die Vögel, unsere Hunde. Wir redeten über die Eltern. Ich brauchte dringend Unterstützung gegen meine Mutter. Ich brauchte ihn. Ich hatte miterlebt, wie er sich weigerte, weiter »Baby« zu heißen und ständig krank zu sein. Er schien gar nicht zu bemerken, was er vollbrachte, er hatte sich schlicht durchgesetzt, indem er nicht zur Kenntnis genommen hatte, dass es etwas zu bekämpfen gab. Ich war der Meinung, dass er offen gegen sie angehen sollte, gegen ihren Druck, ihre Hartnäckigkeit, ihre ängstlich besorgte Überwachung, ihre Neugier – alle die jammervollen Identifikationsformen einer Frau, deren Kinder ihre einzige Befriedigung sind. Ich war der Meinung, dass er sich mit seiner Blindheit schadete. Es ging ums Prinzip! – So dachte ich, auch wenn ich nicht über die richtigen Worte verfügte. Die Wahrheit! Fakten! Die richtigen Worte zur Beschreibung einer Handlungsweise, einer Situation. Er verstand nicht, wovon ich redete. Genauso wie ich instinktiv rebellierte, verhielt er sich instinktiv konform. Wie können Bruder und Schwester so verschieden sein? Doch diese Frage stellt man nur so lange, bis man selber Kinder hat, denn von da an fällt es schwer, den Mutterleib nicht als eine Art Nährquelle für die unerschöpfliche Vielfalt der Menschen zu sehen, jeder mit verschiedenen Anlagen, jeder ein Individuum.
    Haben wir über die Afrikaner geredet? – die Schwarzen – die »Munts« – die »Kaffer«? Nicht oft. Sie waren da, ein selbstverständlicher Teil des Lebens. Kein weißes Kind lernte Shona – das man als Kaffernsprache ansah. Ich habe nicht vor, mich über die Einstellungen der weißen Siedler auszulassen, dazu gibt es nichts Neues zu sagen. Meine
Afrikanischen Geschichten
befassen sich mit dem Distrikt – dem südrhodesischen Farmleben – zu dieser Zeit. Wenn ich heute einige

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