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Veni, Vidi, Gucci

Titel: Veni, Vidi, Gucci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Beaumont
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Projekt tatsächlich im Stich lassen?«, erwiderte ich ... Das war ebenfalls ein Novum.
    »Fran, Sureya hat gerade – Wofür hältst du mich eigentlich?« Kurze Pause. »Hör zu, an dem Projekt arbeitet ein ganzes Team. Es tut mir sicher mal gut, Verantwortung abzugeben. Ich neige nämlich dazu ... äh ... dass ich alles am liebsten selber mache. Oder warum, glaubst du, war ich im vergangenen Jahr so gut wie nie zu Hause?«
    Nun, ich dachte eigentlich, das hätte etwas mit einer Frau zu tun, die von Kopf bis Fuß in Gucci gekleidet ist, aber ich verkniff mir diese Bemerkung.
    »Was, wenn deine Leute es vermasseln?«, fragte ich weiter. »Was, wenn sie das Projekt verlieren?«
    »Ganz einfach. Dann werden sie alle gefeuert.«
    Wir lachten beide. Dann fragte ich Richard: »Ist es okay, wenn ich noch ein Weilchen hier bleibe?«
    »Fran, ich bitte dich! « Richard klang, als wollte er mich schütteln. »Bleib so lange wie nötig. Um wie viel Uhr muss ich die Kinder von der Schule abholen?«
    »Um Viertel nach drei. Und Molly hat heute Bewegungstraining.«
    »Na, großartig«, erwiderte Richard. »Was ist das genau?«
    »Im Prinzip eine Stunde lang Purzelbäume schlagen. Setz sie einfach bei der kleinen Turnhalle ab.« Ich fügte für alle Fälle hinzu: »Die kleine Halle ist hinter der Schule. Es steht sogar ›Kleine Halle‹ drauf.«
    »Verstanden. Noch was?«, fragte er.
    »Ja, allerdings handelt es sich diesmal um etwas Erfreuliches«, entgegnete ich, da mir plötzlich eingefallen war, dass in dieser ganzen Trostlosigkeit eine wahrhaftig und hochkarätig gute Neuigkeit schimmerte. »Es betrifft Thomas. Du kannst es ihm gleich nach der Schule sagen.«
    Ich erzählte Richard von Rons Anruf und dem Probetraining am Samstag.
    »Das ist toll. Einfach spitze«, bemerkte Richard, ohne richtig überzeugt zu klingen. »Thomas wird sicher vollkommen aus dem Häuschen sein, wenn er das erfährt.«
    »Allerdings. Schade, dass ich sein Gesicht nicht sehen kann.«
    Richard stieß einen Seufzer aus. »Es tut mir wirklich leid, Fran«, sagte er dann mit brüchiger Stimme.
    »Wegen Sureya?«
    Eine kurze Pause. »Ja, wegen Sureya.«
    »Ich weiß.«
    Das war vor fünf Minuten. Ich stehe nach wie vor im Krankenhausflur und blinzle ins Tageslicht. Nach wie vor unfähig, zu begreifen, was Sureya durchmachen musste. Nämlich die Hölle.
    Die Ärzte konnten nichts mehr tun. Das Baby in Sureyas Bauch war bereits tot, vermutlich schon seit mehreren Tagen laut ärztlicher Einschätzung. Es war ein Mädchen.
    Wissen Sie, was das Grausamste daran war? Sureya musste nicht nur mit der Tatsache fertig werden, dass das Kind in ihrem Leib nicht mehr lebte, sie musste zudem, da sie bereits in der vierundzwanzigsten Woche war, den Fötus gebären. Wer nicht selbst die Erfahrung gemacht hat: Wehen sind kein Spaß. Sureya musste die ganzen Qualen durchleiden, um eine Totgeburt zur Welt zu bringen.
    Die Ärzte und Schwestern taten alles, was in ihrer Macht stand, um Sureya die Schmerzen zu erleichtern. Aber sie konnten nur die körperlichen Schmerzen lindern. Pethidine hilft zwar, aber das Einzige, was eine Frau eine Geburt überstehen lässt, ist der Lichtblick, dass neues Leben entsteht. Doch für Sureya gab es kein Licht am Ende des Tunnels.
    Und ich war die ganze Zeit zum Nichtstun verdammt. Mir wurde bewusst, wie hilflos Richard sich gefühlt haben muss, als ich mir bei meinen Geburten vor Anstrengung die Seele aus dem Leib schrie. Wie Richard damals an meiner Seite hielt nun ich die ganze Zeit Sureyas Hand und tröstete sie, so gut es ging. Aber was nützten da Worte?
    Es war die kranke, tragische Parodie einer Entbindung. Ich beobachtete, wie die Schwester das Baby sauber machte und in eine Decke hüllte – wie sie es auch getan hätte, wenn das winzige Etwas einen Herzschlag gehabt hätte. Danach – wie sie das auch getan hätte, wenn und so weiter – fragte sie Sureya, ob sie das Baby halten wolle. Das würde helfen, erklärte sie sanft, was sich wohl darauf bezog, das Geschehen zu verarbeiten. Sureya – völlig erschöpft, das Gesicht mit Schweiß und Tränen überströmt – streckte die Arme aus und nahm ihr Kind in Empfang.
    Ich saß auf ihrer Bettkante, den Arm um ihre Schulter gelegt. Und in diesem Augenblick kamen mir zum ersten Mal die Tränen. Aber wie hätte man dieses winzige Etwas auch anschauen sollen, ohne in Tränen auszubrechen? Sie war so perfekt . Sie hatte alles – zehn Finger, zehn Zehen, eine zarte, winzige Stupsnase,

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