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Verlorene Eier

Verlorene Eier

Titel: Verlorene Eier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Scarlett
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jungen Leute machen mich manchmal ganz krank. Wollen Sie denn gar nichts von diesem widerwärtigen Zeug hier haben? Sieht so aus, als wäre ich die Einzige hier, die trinkt.«
    »Ich fürchte, mir bekommt Alkohol während des Tages nicht allzu gut«, sage ich. »Aber bitte, lassen Sie sich von mir nicht abhalten.«
    »Keineswegs. Das ist das Schöne daran, wenn die ganzen Freunde längst tot sind. Es ist einem völlig egal, was andere denken.«
    »Erlauben Sie mir die Bemerkung, Daphne – ich hoffe doch, ich darf Sie Daphne nennen –, aber Sie machen einen höchst lebendigen Eindruck auf mich.«
    »Ach, Schwachsinn! Sind Sie vielleicht Ärztin? Ich bezweifle, dass ich das nächste Weihnachtsfest noch erlebe. Nabokov meinte mal zu mir, er hätte das Leben stets als riesige Überraschung betrachtet und sehe keinen Grund, weshalb der Tod nicht eine noch größere sein sollte. Der reizende Vladimir. Ich habe ihn in Paris kennengelernt. Diese unglaubliche Prosa. Zum Sterben schön. Wenn auch nicht jugendfrei.«
    »Haben Sie in Paris gelebt?«
    Sie richtet ihre wässrig-grauen Augen auf mich und mustert mich scharf.
    »Ich nehme an, man hat Ihnen eine ganze Reihe wilder Geschichten über mich erzählt. Stimmt’s?«
    »Nun ja …«
    »Dass ich ein Jahr lang als Mann gelebt und die Tänzerinnen aus dem Moulin Rouge verführt habe, um die Männer besser verstehen zu können?«
    »Ich habe so etwas läuten hören …«
    »Das ist der reinste Witz! Was für eine Schriftstellerin wäre ich, wenn ich mir das nicht selber einfallen lassen könnte? Hm? Sie brauchen mir nicht zu antworten, weil die Frage sowieso sinnlos ist. Vor etwa tausend Jahren war ich bei einem todschicken Kostümball. Mit Ali, wie es der Zufall will. Wir haben uns als uns selbst verkleidet. Ich hatte sein Dinnersakko an und er mein Ballkleid. Salvador Dalí kam als Kreuzbube, das muss man sich mal vorstellen! Es war ein Abend. Ein einziger! Aber die Geschichte machte die Runde, immer weiter, und irgendwann war ein ganzes Jahr daraus geworden. Schätzungsweise haben Sie auch die Geschichte von der Wassermelone, dem Kerzenwachs und den zahnlosen Hermelinen gehört …«
    »Ich dachte, es seien Frettchen gewesen.«
    »Gerüchte sind gut für die Legendenbildung. Sandy Pugh, mein wunderbarer Agent – kennen Sie ihn zufällig? –, hat immer hübsch Öl ins Feuer gegossen. Er hat sie den Leuten eingeflüstert. Die Verleger haben diesen Blödsinn natürlich geglaubt, diese armen Wichte. All diese Leute führen selbst so ein bescheidenes Leben, dass sie sich auf alles stürzen, was auch nur ein winziges Stück aus dem Rahmen fällt.«
    »Sie sind überhaupt nicht gaga, stimmt’s?«, frage ich leise.
    Ein boshaftes Lächeln breitet sich auf ihren Zügen aus, so dass ich den billigen Frascati auf ihren vergilbenden Eckzähnen glitzern sehe. »Die Quacksalber in London behaupten, ich sei es. Und ich kriege definitiv keine Zeile mehr aufs Papier. Aber wer kann mir das nach über hundertvierzig Büchern auch übelnehmen? Ich kann mich nur fragen, wie die gute alte Dame Barbara das geschafft hat.«
    Wieder sieht Daphne sich im Raum um, ehe sie mich mit besorgniserregend unverhohlener Neugier mustert.
    »Ich habe Ihre Entwicklung mit besonderem Interesse verfolgt«, sagt sie. »Und ich bewundere Ihre Arbeit. Natürlich ist Ihr Strickmuster reichlich durchsichtig – immer diese Küstenorte und die Vornamen Ihrer Heldinnen, die alle mit C anfangen –, aber Ihre Prosa hat eine Robustheit an sich, die in der romantischen Unterhaltung nur selten vorkommt. Und Ihre Plots haben fast etwas Grausames an sich. Ich kann es nicht genau sagen, was es ist. Mangelnde Authentizität, dachte ich immer. Aber jetzt, wo ich Sie sehe, weiß ich, was der Grund dafür ist.«
    Mir stockt der Atem.
    »Sie sind ein Mann.«
    Atme. Los, Herrgott noch mal, atme.
    »Oder Sie waren einer. Was davon?«
    Lange Zeit herrscht Stille, die lediglich vom Knacken der Scheite im Kamin und dem Summen des Kühlschranks in der Küche durchbrochen wird. Ich kann nicht fassen, dass das passiert.
    Schließlich räuspere ich mich. »Möchten Sie noch etwas Frascati, meine Liebe? Er ist ein bisschen sauer, ich weiß, aber eigentlich recht aromatisch, finden Sie nicht auch?«
    Genau so geht’s. Einfach so tun, als wäre es nicht passiert. Wie würde Kiki in dieser Situation reagieren? Panisch werden, nehme ich an.
    »Ich sehe, Sie beantworten meine Frage nicht. Das ist natürlich Ihr gutes Recht.

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