Verrat im Zunfthaus
Laut, als sie jedoch an Franziskas Schlafraum vorbeiging, vernahm sie eine leise Stimme. Wie angewurzelt blieb sie stehen, und sofort fiel ihr Ludowigs Andeutung ein, Donatus habe sich an die Magd herangemacht.
Entschlossen, diesem Unwesen sofort ein Ende zu bereiten, griff Adelina nach der Klinke und stieß die Tür auf. Im Zimmer war es dunkel, die Stimme jedoch noch immer zu hören.
Adelina trat an Franziskas Bett und leuchtete mit der Öllampe darüber hinweg.
Die Magd war allein und schlief offenbar fest. Doch ihre Lippen bewegten sich und murmelten unverständlicheWorte. Nachdenklich betrachtete Adelina das junge Mädchen, das ihr einst in Lumpen auf dem Laurenzplatz begegnet und zu stolz gewesen war, um zuzugeben, dass es Kamine kehrte, um zu überleben. Franziska musste inzwischen sechzehn, fast siebzehn Jahre alt sein, und sie war recht hübsch. Nachdem sie in Adelinas Haushalt eine Anstellung erhalten hatte, waren ihre Wangen und Hüften durch das gute Essen runder geworden.
Franziskas Geschwister waren nach dem Tod der Mutter verhungert. Ihr Vater hielt sich mehr schlecht als recht mit Gelegenheitsarbeiten am Hafen über Wasser. Franziska besuchte ihn ab und zu und brachte ihm Reste aus der Küche mit. Das Verhältnis der beiden war allerdings problematisch; der Vater glaubte fest, Franziska sei eine Dirne und damit verachtenswert.
Adelina schüttelte den Kopf. Wie konnte ein Vater nur so blind sein? Glücklich sollte er sein, dass seine Tochter so tüchtig war und eine gute Anstellung gefunden hatte. Ganz sicher bedrückte es Franziska, obwohl sie nie darüber sprach.
Als plötzlich das Gemurmel der Magd lauter wurde, beugte Adelina sich unwillkürlich näher und lauschte.
«… dummer blöder Kerl verstehst auch gar nichts! … So was … Knecht, pah. Rutsch mir doch den Buckel …»
Adelina schüttelte den Kopf und zog sich zurück. Sogar im Schlaf schien sich Franziska mit Ludowig zu streiten.
Leise ging Adelina den Weg zurück und stieg dann noch die Stiege zu Griets Kammer hinauf.
Ihre Stieftochter hatte sich fest in ihre Decke gewickelt und atmete ruhig und tief. In der Hand hielt sie wie immer das Püppchen, das Adelina ihr geschenkt hatte.
Adelina wollte sich schon abwenden, als ihr Blick zufälligGriets Handgelenk streifte. Entsetzt starrte sie auf das winzige Rinnsal Blut, das dort getrocknet war. Ihr wurde heiß und kalt zugleich. Zu den alten Narben, die sich das Mädchen während der Zeit zugefügt hatte, als ihr Stiefvater sie an fremde Männer verkaufte, hatten sich neue Zahnabdrücke gesellt.
Schweigend sah Adelina auf Griet hinab und das Herz tat ihr weh, als sie daran dachte, was die Kleine in ihrem kurzen Leben bereits hatte erleiden müssen. Was war geschehen, dass sie sich wieder gebissen hatte? Irgendetwas musste die alte Angst wieder in ihr geweckt haben.
Grimmig knirschte Adelina mit den Zähnen. Wenn Thomasius schuld daran war, würde sie einschreiten, koste es, was es wolle!
Sanft streichelte sie mit einem Finger über Griets Wange. Ängstlich zuckte das Mädchen im Schlaf zusammen.
«Griet, ach Griet», murmelte Adelina bedrückt. Als sie ihre eigene Schlafkammer erreichte, überlegte sie, ob sie Neklas sofort wecken und ihm von den Wunden seiner Tochter erzählen sollte. Da er jedoch bereits fest schlief und auch Colin ruhig und regelmäßig atmete, beschloss sie, bis zum Morgen damit zu warten.
***
Als sie erwachte, schien bereits die Sonne durch die Ritzen der Fensterläden und warf verzerrte Muster auf den Fußboden. Im Haus waren Stimmen und Geräusche zu hören, die darauf schließen ließen, dass der Tag schon länger angebrochen war. Adelina gähnte und blinzelte in das diffuse Licht. Offenbar hatte Neklas sie nach der langwierigen Arbeit am Vorabend etwas länger schlafenlassen. Nun, warum auch nicht? Sie räkelte sich und bewegte müßig ihre Füße, doch dann fuhr sie mit einem Schreckenslaut hoch.
«Colin?»
Etwas stimmte nicht, so lange würde doch kein Säugling ruhig bleiben! Sie schwang die Beine über den Bettrand und wollte aufspringen, trat dabei jedoch Moses, der vor dem Bett lag, auf eine Pfote. Der Hund jaulte erschrocken und sprang auf.
Adelina prallte zurück. «Du liebe Zeit, wo kommst du denn her?» Fahrig strich sie dem Hund über den Kopf und nahm einen erneuten Anlauf aufzustehen. Mit zwei Schritten war sie an der Wiege – sie war leer.
Adelina stieß ein Seufzen aus, das irgendwo zwischen Erleichterung und Verzweiflung lag. Sie
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