Voodoo Holmes Romane (German Edition)
zog die Stirn kraus und fragte geradeaus: „Sagen Sie einmal, Sir Oswin, es handelt sich bei der ganzen Angelegenheit doch nicht um eine Inszenierung Ihrerseits? Könnte es sein, daß die Vorgänge der vergangenen Nacht Auswüchse des bekannten Familienhumors sind?“
Cumberton-Shoyle: „Inwiefern?“
„ Also gut”, meinte Holmes. „Als ich mich gestern auf den Balkon meines Zimmers begab, um noch etwas Luft zu schnappen, bemerkte ich einen weißen Schemen auf der Außenseite des Schlosses, der zum Balkon Ihrer Frau Gemahlin hochgehievt wurde – oder hoch kroch.“
„ Ach ja?“
„ Nach unserer kleinen Auseinandersetzung trat ich in die Kammer Lady Elins ein und fand etwas Weißes auf dem Boden. Offenbar war es eine Skulptur in Eis, die auf dem Balkon abgestellt worden und dann zerbrochen war. Denkbar ist es, daß man von einem Fenster unter dem Dach aus ein Seil die Außenmauer hinabließ, um den Transport dieser Skulptur vorzunehmen. Man hätte es wahrscheinlich sogar in Eigenregie bewerkstelligen können mit einer selbstöffnenden Schlinge. Ein erfahrener Seemann dürfte keine Schwierigkeiten haben, den geeigneten Knoten anzulegen.“
„ Und was sollte diesen Jemand – ich hoffe, Sie insinuieren nicht, das ich selbst damit etwas zu tun gehabt haben könnte – nun dazu bewegt haben, eine Skulptur aus Eis dort abzustellen?“
„ Ein gewisser Sinn für Humor, oder der Versuch, mich abzulenken. Es könnte ja sein, daß man einem Detektiv, der seine Fähigkeiten überschätzt, eine falsche Fährte legen könnte, nur um sich darüber zu belustigen.“
„ Gewiss, Holmes, dergleichen wäre möglich“, meinte Cumberton-Shoyle mit einem eigenartigen Glucksen, „da bringen Sie mich ja direkt auf etwas. Aber andererseits: Ich habe damit bestimmt nichts zu tun, und die Nachricht, daß jemand einen Schneemann auf den Balkon meiner Frau hievt, beruhigt mich gerade nicht. Es ist ein merkwürdiger Vorfall. Außerdem: Woher ist denn zu dieser Jahreszeit noch Schnee zu kriegen?“
“Nun, es gibt Reservoirs in Kühlschränken, nehme ich an, so auch in Ihren Küchen. Außerdem scheint es gestern unweit von hier zu Niedergang von Hagelkörnern gekommen zu sein.“
Es entstand nun eine kleine Pause, die beide mit dem Paffen an ihren Rauchwerkzeugen und mit dem Nippen am Sherry zubrachten. Es war ein schweigsames Duell, das ich gebannten Auges verfolgte.
Dann lachte Cumberton-Shoyle abermals, schüttelte den Kopf und meinte: „Und Sie denken, ich wollte Sie anschmieren?“
„ Es wäre möglich“, sagte Holmes, „aber selbst wenn es so sein sollte, es wird Ihnen nicht gelingen. So oder so werde ich das Rätsel lösen.“
„ Angenommen, ich habe damit nichts zu tun, und angenommen, es gäbe auch keinen anderen hier im Schloss, dem dergleichen einfiele – und ich kann mir bei bestem Willen nicht vorstellen, daß einer der Dienerschaft oder gar Elin einen entsprechenden Scherz aushecken könnten – gibt es nicht auch eine andere Erklärung für den merkwürdigen Vorfall? Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ich war außer mir, es schien mir keine kleine Theaterinszenierung, sondern eine echte, bedrückende Notsituation vorzuliegen. Ich erwachte ... und ...“
Unser Gastgeber zögerte, weiterzusprechen, und im Laufe des folgenden Schweigens fiel mir auf, wie blass er war. Ich merkte, daß ihm der kalte Schweiß auf der Stirne stand, als er fortfuhr: „Es war ein Alpdruck, den ich schwer erklären kann. Es schien mir fast, ich sei nicht ich, sondern ein anderer. Vielleicht einer meiner Väter oder Großväter, und es schien mir ebenso, als befände ich mich gar nicht im Schloss, sondern anderswo. Ich war in Gefangenschaft. Das Merkwürdige war ja, daß ich die Rüstung
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