Voodoo Holmes Romane (German Edition)
auf die Straße hinauslief, machte ich meiner Empörung mit halblauten Schimpfworten Luft. „Können mir doch gestohlen bleiben!“ rief ich, und enterte eine Droschke um mich nach Hause fahren zu lassen.
Zwei Tage lang hörte ich nichts von der Sache. Der Alltag kehrte zurück. Als ich eines Nachmittags am Laden vorbei kam, sah ich die Tierpräparatorin, die, als können sie kein Wässerchen trüben, tote Tiere kämmte. Ich versorgte meine Patienten. Ob Sherlock vom albernen Benehmen seines Bruders erfahren hatte und ob er sich um den Fortgang der Ermittlungen kümmerte, wusste ich nicht, und es war mir auch gleichgültig. Umso mehr erschütterte mich ein Anruf in den frühen Morgenstunden zum folgenden Samstag. Ich eilte in Nachthemd und Mantel in die Essex Road. Das schwarze Gebäude war unüblich für die Tageszeit hell erleuchtet, und als ich vorbei an der Menschenmasse Neugieriger, die mühsam von einem Polizeikordon von den oberen Stockwerken zurückgehalten wurde, ins Treppenhaus stürzte, vernahm ich schon in der Höhe ein entsetzliches Kreischen nebst panischen Flattergeräuschen, die von Vögeln zu stammen schienen. Die betreffende Wohnung, aus der diese Unlaute drangen, lag im siebten Geschoss und gehörte einer jungen Künstlerin, die eben erst am Vortag in dieselbe eingezogen war. Vorher hatte hier ein Herr gewohnt, dessen Leibesmitte von unbekannten Kräften in die Form eines Uhrglases zerquetscht worden war. Schon polterten die Vorschlaghämmer des Einsatztrupps gegen die befestigte Eingangstür des Appartements, in dem es längst ruhig geworden war. Auch der junge Holmes war da, wie ich mit einem Seitenblick registrierte. Er lehnte unberührt von dem Getümmel an einer Mauer und rauchte eine Zigarette, was irgendwie französisch wirkte, beim Jungvolk aber auch in unseren Breiten zunehmend üblich wird. „Morgen, Watson“, sagte er, als ich bei ihm angekommen war, atemlos und leicht schwindelnd, „machen Sie langsam, als Arzt können Sie hier nichts mehr ausrichten.“ Und es stimmte: Die blutüberströmte, unkenntlich gewordene Leiche mit den von unzähligen Schnabelbissen durchlöcherten Kleidern war offensichtlich tot. Kein Mensch hätte diese Qualen überlebt. Der Kopf war nichts mehr als ein blickloses, fleischiges Etwas, ein haarloser Schädel, leergepickt bis auf die Knochen. Ich wandte mich von dem grausigen Anblick ab, überkommen von Übelkeit, und wagte nicht, durch die Tür in das Innere der Wohnung zu treten, in der behelmte Beamte mit übergestülpten Maschendrahtkäfigen die Winkel absuchten wie schon damals, als ähnliches Picken von Schnäbeln und Trampeln wie von Straußenbeinen ein ähnliches Fiasko nebenan in Appartement 723 verursacht hatte. Und wieder bewahrheitete sich auch diesmal das grausige Phänomen: Man fand nicht die geringste Spur wildgewordener Tiere.
Ich stand wie betäubt da, während mir Holmes den Mantel aufknöpfte. Ich blickte an mir herunter und merkte, daß ich den obersten Knopf mit dem zweiten Knopfloch verbunden und so Rockaufschläge und der ganze Mantel schräg wirkte. Holmes schloss den Mantel wieder, als sei ich ein Kind, und bog den Kragen meines Nachthemdes zurecht. In seinen Augen las ich leichten Spott, aber es war da auch etwas Anderes. Ich war über die Geste mit dem Mantel gerührt. Er war seinem Bruder gar nicht so unähnlich. Ich merkte, daß ich mit ihm langsam warm wurde und meinte: „Entschuldigen Sie meinen Auftritt von vorgestern. Ich lag mir fern, Sie belehren zu wollen. Ich war auf dem falschen Dampfer.“
Er lachte und gab zurück: „Schade, daß Sie sich jetzt dafür entschuldigen. Es machte so schön Spaß, Sie ein bisschen aufzuziehen, Watson, aber wenn Sie so
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