Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
aber wir sind von ähnlicher Statur. Er passt wie angegossen und ist mollig warm.
Harry schreit jetzt lauthals, wirft sich in seinem Buggy hin und her. David steckt eine Decke um ihn und sagt: »Der ist hinüber, kaum dass du am Weg angekommen bist.« Er hat mich in Chloes Mantel gar nicht groß angesehen.
»Ich geh noch ein bisschen weiter mit ihm, nur zur Sicherheit.«
Hinter dem Buggy spaziere ich durch den Wohnpark, der charakterlos, sauber und wie leer gefegt ist, und denke wieder, wie eigenartig diese neuen Siedlungen sind, als würden sie neue Menschen ohne Geheimnisse, ohne Eigenleben beherbergen. Nach Davids und Chloes Haus fällt die Straße ab. Keine Autos fahren an mir vorbei, und auf den dunklen Asphaltstellplätzen stehen kaum welche. Alle sind in der Arbeit oder Schule, es ist mitten am Tag. Harrys Geheul verebbt rasch zu Schniefen und Seufzen. Wie David vorausgesagt hat, nickt er kurz darauf ein. Ich frage mich, ob es nicht besser gewesen wäre, ihn vorher zu wickeln.
Ich schiebe ihn ungefähr eine Viertelstunde herum, bevor ich die Steigung zu dem Bungalow wieder hinaufgehe. Als ich nur noch wenige Meter von der Tür entfernt bin, passiert es. Hinter mir wird eine Autotür zugeknallt, aber weil daran nichts Ungewöhnliches ist, drehe ich mich nicht um. Während ich nach der Türklingel greife, höre ich Schritte über den Weg hinter mir hasten, habe aber nur ein oder zwei Sekunden Zeit, deren ungewöhnliche Geschwindigkeit zu registrieren, ehe ein schwerer Schlag meine Schulter trifft. Als ich in die Knie gehe, entfährt mir ein entsetzter Schrei, doch jeder Laut aus meiner Kehle wird von einem ohrenbetäubenden Kreischen übertönt. Ich drehe mich mit zum Schutz erhobenem Arm um und sehe eine Frau Mitte sechzig, kleiner als ich, mit dicht anliegenden krausen Haaren und Brille. Ihr Gesicht bekomme ich nur kurz zu sehen, wutverzerrt, mit offenem Mund, ehe ich wieder zur Seite ausweichen muss, um mich zu schützen. Sie drischt wie wild auf meinen Arm und die Schulter ein und stößt wortlos Wutschreie aus. Ihre Hände sind zu Fäusten geballt – ein Schlag trifft mich an der Schläfe, und ich taumele zur Tür zurück, fürchte kurz zu fallen. Zwischen ihren unartikulierten Schreien stößt sie jetzt »Du … du … du !« hervor.
Die Haustür öffnet sich, und David eilt mir zu Hilfe. Er geht zwischen mich und die Frau, die er mit einem Arm auf Abstand, von mir abhält. Ihre Fäuste dreschen immer noch auf die Luft ein, und sie schreit weiter unverständlich. Baby Harry verschläft alles.
»Edith!«, ruft David. »Edith, hör auf!« Dann, energisch und mit tiefer Stimme, ein Ruf zur Warnung vor körperlicher Vergeltung: »Hör sofort damit auf!«
Sie bricht ab und weicht einen oder zwei Schritte zurück; der Atem geht stoßweise in dem kleinen Körper. Als ich mich aufrichte, sehe ich, dass ihre Brille verbogen ist. Die Haare fallen mir schräg ins Gesicht, ich streiche sie mit der Hand hinters Ohr zurück und starre die Frau an, die immer noch außer sich ist und vor Wut faucht. »Wie kannst du es wagen!«, ruft sie und mustert mich verächtlich von Kopf bis Fuß. »Ausgerechnet du !«
Ich schaue hinter mich, um mich zu vergewissern, dass Rees nicht herausgekommen, sondern sicher drinnen ist, außer Hörweite. »Scheiße, wer sind Sie?«, sage ich mit vernehmlich aggressivem Unterton in der Stimme. Von Überfällen halte ich nicht viel. Auch wenn David mir zu Hilfe gekommen ist, will ich dieser Verrückten zu verstehen geben, dass sie mich ohne Überraschungsmoment nicht überwältigt hätte.
»Ich bin Chloes Mutter «, faucht sie. »Und wag es ja nicht, vor mir unflätige Ausdrücke zu gebrauchen.« Sie wendet sich David zu: »Im Mantel von meiner Tochter, mit dem Baby von meiner Tochter!«
David richtet sich zu voller Größe auf. »Edith, ich hab Laura gebeten, mit Harry im Buggy rauszugehen, damit er einschlafen konnte. Es ging mir um ein wenig Zeit zu zweit mit meinem anderen Sohn. Ich hab sie drum gebeten, okay? Es war kalt, und sie hatte keinen Mantel, da hab ich ihr den von Chloe gegeben. Das hätte ich nicht gemacht, wenn ich gewusst hätte, dass du vorbeikommst. Ich weiß, dass es dir einen Schrecken versetzt haben muss, aber das ist keine Entschuldigung dafür, Laura anzufallen.«
Das Gesicht der Frau ist immer noch vor Bitterkeit verzerrt. »Du bist genauso schlimm wie sie. Ist es dir egal? Chloe hat gesagt, dass du ein gefühlloser Schuft bist, und jetzt sieh sich einer an,
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