Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was sich kusst das liebt sich

Was sich kusst das liebt sich

Titel: Was sich kusst das liebt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manning Sarra
Vom Netzwerk:
Gastprofessor gipfelte (wegen einer fehlenden Fußnote), nach der man mich vor den Dekan geschleppt hat. Und zu allem Überfluss litt ich an Entzugserscheinungen, weil mir der Tee von Sainsburys ausgegangen war! Aber das ist eigentlich eher eine Erklärung als eine Entschuldigung.
    Dann war da dieser schändliche Anruf, bei dem ich dir einen Vortrag darüber gehalten habe, dass du im Archiv keine Zukunft hast, statt dich zu trösten und dir mein Mitgefühl auszusprechen. Ich wünschte nur, du würdest endlich begreifen, dass du wirklich etwas Besonderes bist, Neve. Deine Freunde sollten sich glücklich schätzen, dich zu kennen, so wie ich, und es macht mich traurig, dass du das Potenzial, das in dir schlummert, nicht erkennst. Ich bin überzeugt, du wirst in deinem Leben große Erfolge feiern, aber dazu musst du erst einmal von dir überzeugt sein.
    Tja, aber es gibt noch mehr, wofür ich Abbitte leisten muss, nicht wahr? Zum Beispiel dafür, dass ich dich an einem Sonntag mit meinem endlosen Gebettel um Unterstützung bei meiner Recherche belästigt habe. Oder dafür, dass ich noch gar nicht auf deinen wunderschönen Brief reagiert habe, in dem du den anregenden Vergleich zwischen unserer geistigen Verbundenheit und der Freundschaft zwischen Lou Andreas-Salomé und Rilke gezogen hast. Nachdem ich den Brief schließlich bei einem Glas roten Shiraz mit der nötigen Aufmerksamkeit noch einmal gelesen habe (und mir dabei sehnlichst gewünscht habe, du wärst hier, weil ich gern einige interessante Punkte deiner Argumentation mit dir diskutiert hätte), da wurde mir klar, dass du meine intellektuelle Seelenverwandte bist. Ich habe gute Freunde in LA gefunden, Leute, die mir viel bedeuten, aber bei dir, Neve, überkommt mich oft das Gefühl, dass wir uns ein und dasselbe Gehirn teilen. Außer, wenn es um Miss Austen geht natürlich! Ich kenne keine andere Frau, die derart wissbegierig ist oder über eine so lebhafte, facettenreiche Fantasie verfügt wie du. Ach, was du noch alles sehen und erleben wirst …
    Gegen Mitte Juli sollte ich wieder in der geliebten Heimat weilen. Ich habe dir so viel zu erzählen! Wahrscheinlich wirst du dir vierzehn Tage freinehmen müssen. Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen und die alte Vertrautheit zwischen uns wieder aufleben zu lassen, wobei ich seltsamerweise das Gefühl habe, dich inzwischen in- und auswendig zu kennen, und das nach all der Zeit und trotz der großen Entfernung.
    Ich muss jetzt aufhören – habe ich dir erzählt, dass ich mit einigen anderen Exil-Briten, die hier leben, ein Kricketteam gegründet habe? Ich fürchte, ich komme zu spät zum Training.
    Alles Liebe
    William
    PS : Tut mir leid, wenn ich dich schon wieder um Hilfe bitte, aber könntest du die beigefügten Quellenangaben für mich recherchieren, wenn du das nächste Mal in der British Library bist, und sie mir anschließend faxen? Nummer siehe oben.
    *
    Neve legte den Brief beiseite und seufzte tief.
    Sie hatte sich ablenken lassen. Max hatte sich in letzter Zeit immer mehr in den Vordergrund geschoben, aber William war der große Preis, die goldene Trophäe, die bereits in greifbarer Nähe auf sie wartete. Es war der Schock über die Worte ihres Vaters gewesen, der sie dazu gebracht hatte, endlich die ersten unsicheren Schritte auf ihrer Abspeck-Reise zu unternehmen, aber je näher Williams Rückkehr rückte, desto mehr war er zum eigentlichen Ziel ihrer Reise geworden. Sie hatte es natürlich nicht darauf angelegt, dass William bei ihrem Anblick auf die Knie fiel und » Meine Güte, Neve, seit wann bist du so schön?« rief. Vielmehr ging es darum, dass sie die Frau wurde, die sie sein wollte. Eine Frau, die eine große, goldene Trophäe verdient hatte, weil sie verdammt lange und verdammt hart dafür gearbeitet hatte.
    Doch wann würde sich dieses Gefühl einstellen? An dem Tag, an dem sie problemlos in ein Kleid Größe38 passte? An dem Tag, an dem William zurückkam und alles endlich so war, wie es sein sollte? In etwas mehr als drei Monaten würde er wieder Teil ihres Lebens sein und nicht bloß eine Stimme am Telefon oder der Absender eines blauen Luftpostumschlags, und Neve hatte nicht den Eindruck, dass sie schon bereit war. Ihr Körper war definitiv noch nicht bereit, und auch sonst war sie noch dasselbe hilflose, verunsicherte Geschöpf, das William vor drei Jahren durch das Zugfenster zum Abschied zugewunken hatte, während er am Bahnsteig zurückgeblieben war.
    Aber genau deshalb hatte sie

Weitere Kostenlose Bücher