Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
nicht den Mut besessen, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen. Er hatte verschämt zugegeben, nur deshalb auf Ermittlungen verzichtet zu haben, weil er Angst davor gehabt habe, schreckliche Wahrheiten herauszufinden. Nach seinem Geständnis hatte er Johann, Frieder und Alan beinahe liebevoll beschrieben. Die Szene wurde für Franz in aller Deutlichkeit sichtbar.
„Johann und Frieder waren die Ältesten von uns“, erklärte Hans-Georg. „Wir Jüngeren schauten gern zu beiden auf und orientierten uns an ihrer Sichtweise. Frieder war der Draufgänger. Sein Fieber loderte nicht nur in seinem Körper, sondern auch in seinen Gedanken. Er hat uns alle angesteckt!“ Hans-Georgs Augen leuchteten begeistert, seine Finger strichen erfürchtig über das schwarze Tuch seines Rockes.
„Johann war ...“, er stockte und berichtigte sich hastig, „ist der ruhige Gegenpol. An ihn konnten wir uns lehnen, wenn Frieder einmal zu sehr davonpreschte. Ihr Bruder sorgte stets dafür, dass uns nicht gleich die Stadtsoldaten inhaftierten, wenn wir allzu heftige Debatten in irgendwelchen Kaschemmen führten und die Wirte gegen uns aufbrachten. In einigen Kneipen wurde sogar Hausverbot über uns verhängt. Und Alan ...“ Hans-Georgs Blick war weich geworden, kaum dass er den Namen nannte, seine Mundwinkel kräuselten sich zu einem Lächeln. „Alan übernahm wie selbstverständlich die Vermittlerrolle zwischen Johann und Frieder. Er besitzt einen gewissen Charme, dem sich niemand entziehen kann, wissen Sie.“ Er hätte gewiss noch weiter von Alan geschwärmt, wenn er nicht einen Seitenblick von Franz aufgefangen hätte. Franz bemühte sich zwar, seine Missbilligung für die Gefühle des Jungen unter Kontrolle zu halten, aber an dieser Stelle der Schilderung hatte er demonstrativ die Brauen zusammengezogen. Hans-Georg nahm es sofort zum Anlass, in hastiger Sachlichkeit fortzufahren: „Wie gesagt, obwohl Johann und Frieder so wenig gemein hatten, achteten sie einander. Schließlich wurde Freundschaft aus ihrem gegenseitigen Respekt. Ihr Bruder hat mir einmal gesagt – Frieder sei der Mensch, der ihn aus seiner Lethargie gerissen habe.“
Franz schnaubte vernehmlich.
Hans-Georg schaute ihn offensichtlich verunsichert an.
„Verzeihen Sie, die Sache mit der Lethargie ist bisher die einzige Übereinstimmung gewesen, die ich zu dem Johann gefunden habe, den ich kenne“, erwiderte Franz auf den fragenden Blick und lächelte entschuldigend. Doch ihn interessierten die Umstände, die in einem Duell gipfeln sollten, viel zu brennend, als dass er sich noch länger mit den unterschiedlichen Temperamenten der Protagonisten aus Hans-Georgs Schilderung befassen wollte. „Hat Johann nichts von dem Grund des unseligen Duells erzählt? Wenn er so besonnen ist, wie hat es dann zu der Herausforderung kommen können?“, fragte er ungeduldig.
„Diese Frage habe ich mir auch etliche Male gestellt“, gab Hans-Georg achselzuckend zurück.
„Ging es vielleicht um eine Frau?“, bohrte Franz weiter. Obwohl Hans-Georg für das andere Geschlecht nicht viel Aufmerksamkeit übrig haben dürfte, hoffte Franz inständig, der Bursche wisse irgendetwas von der Liebschaft, die Johann nachweislich unterhalten hatte.
Aber durch Hans-Georg ging nur ein Ruck. Er versteifte sich zusehends und starrte schmallippig in die gurgelnden Kringel der Strömung.
Plötzlich setzte sich eines der mächtigen Mühlenräder in Gang und machte eine Unterhaltung unmöglich. Eine Fuhre Schälrinde war angeliefert worden, die der Lohmüller sogleich verarbeitete.
Franz deutete mit dem Kopf stadtauswärts und Hans-Georg folgte der stummen Aufforderung. Sie überquerten mehr als ein halbes Dutzend Brücken. Es reihte sich Mühle an Mühle und man legte eine gewisse Strecke zurück, bis sie an das schilfbestandene Ufer der Oberwarnow gelangten. Hier blieb man von der lauten Geschäftigkeit der Fuhrleute, Müller und Gerber verschont, die von der gemeinsamen Sorge des ungleichen Männergespanns nichts ahnen konnten.
Der Nieselregen hatte aufgehört. Über der glatten Wasseroberfläche des Flusses erhob sich träger weißer Dunst. Nebelfetzen waberten über die Rohrwiesen, verwischten die Konturen knorriger Weiden und zierlicher Erlen. Wie zum Hohn eines still kauernden Anglers sprang ein grünsilberner Fisch aus dem Wasser, um kurz darauf platschend ins heimische Nass abzutauchen.
War Johann auch so ein Fisch, der sich nicht fangen lassen wollte? Das Gleichnis
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