Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
den Kutscher in ein lautstarkes Gespräch über Reiseziel und voraussichtliche Fahrzeit. Er vergaß auch nicht, dem rauchenden und nicht sehr redseligen Mann aus der Nase zu ziehen, wie weit es von Doberan nach Kröpelin sei, weil er in der Sommerresidenz aussteigen wolle. Ungefragt erzählte er, wie freundlich er das Angebot des Kommissärs finde, ihm aus einer Verlegenheit zu helfen.
Franz fühlte sich wie ein Akteur auf der Bühne, aber er ignorierte sein Publikum, wie es die echten Schauspieler tun. Er war gewiss, beobachtet oder zumindest belauscht zu werden.
Goltzows Erscheinen stoppte den Monolog. Die Männer nahmen in dem betagten Gefährt Platz und stimmten sich darauf ein, die nächsten zwei Stunden miteinander zu verbringen. Franz ließ Straße und Passanten zu beiden Seiten im Blick. Als der Wagen in eine größere Straße einbog, sah er, was sich hinter ihnen abspielte. Dort verhandelte ein großer, aufgeregt gestikulierender Mann mit einem Droschkenlenker. Franz machte sich einen Moment Sorgen, ob Lapérouse sich die Fahrt nach Doberan würde leisten können. Sekunden später dürfte man sich einig geworden sein: Der junge Mann bestieg hastig das angemietete Gefährt.
Franz lehnte sich zurück. Von nun an konzentrierte er sich darauf, was Goltzow für geeignet hielt, um das Gespräch zweier Reisenden in Gang zu halten. Franz fiel auf, mit welcher Anstrengung der Kommissär jede Anspielung vermied, die mit Johanns Verschwinden zu tun haben könnte und rechnete ihm die Zurückhaltung hoch an. Goltzow hatte seine Neugier im Griff, obschon sein Beruf ihn gewissermaßen verpflichtete, neugierig zu sein. Letztlich war er zu jeder Frage berechtigt, die ihm zum Fall Johann von Klotz einfiele. Stattdessen mimte er einmal mehr den Privatmann.
Franz überwand seine Beklommenheit und kam auf Johann zu sprechen, wobei er auf Goltzows Entgegenkommen rechnete.
„Haben Sie einen Anhaltspunkt für mich, mit dem ich meinen Vater beruhigen könnte? Ich bin nämlich auf dem Weg zu ihm“, sagte er schlicht.
Goltzow reagierte mit einem gequälten Ausdruck, was Franz sofort alarmierte. Er erwog besorgt, ob der Kommissär aus eigenem Interesse unterlassen habe, Johann ins Gespräch zu bringen, beispielsweise um sich nicht auch noch nach Dienstschluss mit ernüchternden Ermittlungsergebnissen auseinandersetzen zu müssen. Andererseits glaubte Franz nicht, dass es Goltzow möglich war, Privates von Beruflichem zu trennen. Darüber nachzusinnen war jedoch müßig, wo seine Bitte längst geäußert war.
„Einen Anhaltspunkt hätte ich schon. Allerdings ...“, Goltzows Brust hob sich, als er Luft schöpfte, „ ... ob der geeignet wäre, Ihren Herrn Vater zu beruhigen, wage ich zu bezweifeln.“
Franz schlug das Herz bis zum Hals. Das Blut pochte in seinen Schläfen. Mit zusammengepressten Lippen wartete er ab, was der Kommissär vorbringen würde.
„Gestern fand ich in Professor Käglers Hausmantel einen Brief.“ Goltzow räusperte sich ausgiebig, bevor er mit dem herausrückte, was ihm quer im Munde lag. „Ein Liebesbrief, um genauer zu sein, vermutlich verfasst von Frau Friederike Kägler. Er begann mit: ‚Mein liebster Johann‘.“ Goltzow machte eine vielsagende Pause. „Ihr Verdacht, eine unglückliche Liebesbeziehung könnte sich hinter dem Verschwinden Ihres Bruders verbergen, scheint sich zu bestätigen. Nur stört mich die Leiche des gehörnten Ehemannes in dieser Dreiecksgeschichte.“
Franz wollte aufbegehren, der Brief einer Frau, der an irgendeinen Johann gerichtet war – die es in Rostock gewiss zu Hunderten gab – dürfe seinem Bruder nicht zur Last gelegt werden, man könne dem Empfänger eines Briefes schlecht vorwerfen, dass er geschrieben worden war. Jedoch der Vorname der Frau gab Franz zu denken. Wenn er auf dem Wege eigener Ermittlungen Kenntnis von dem Brief erhalten hätte, wäre er zu ähnlichen Schlussfolgerungen gekommen wie der Kommissär. Doch aus dem Munde eines Ermittlungsbeamten klangen mutmaßliche Zusammenhänge, das Ableben eines betrogenen Gatten betreffend, wirklich beängstigend und gehörten umgehend entkräftet.
„Ist Herr Kägler wirklich vergiftet worden?“, fragte er reserviert.
Auf Goltzows Erwiderung musste Franz eine Weile warten. Anscheinend rang der Beamte mit sich, was er den jungen Mann an seiner Seite wissen lassen durfte und was nicht.
„Das bleibt noch zweifelsfrei festzustellen. Zumindest schloss es Doktor Ahrens nicht aus“, konstatierte
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