Weisser Oleander
schnappte nach meinem Bein.
»Bitte, Leute! Holt doch eure Hunde weg!«, bettelte ich, aber der Klang meiner Stimme prallte von den Häusern ab, die sicher abgeschirmt hinter Eisengittern, hohen Zäunen und Sicherheitstoren lagen. Und während der braune Hund knurrend auf mich zukam, fiel mir wieder ein, was ich ein paar Monate lang erfolgreich vergessen hatte: dass es immer so sein würde. Der braune Hund schlug seine Zähne durch meine Jeans.
Ich rief um Hilfe. Das schien sie erst recht anzustacheln, der Husky warf mich zu Boden und biss mir in die Arme, die ich mir zum Schutz vor das Gesicht hielt. Ich schrie und wusste doch, dass da keiner war. Es war ein Traum, den ich schon einmal gehabt hatte, doch jetzt gab es kein Erwachen, und ich betete zu Jesus, so hoffnungslos, wie Menschen beten, die wissen, dass es keinen Gott gibt.
Dann – Rufe auf Spanisch. Schuhe stampften über den Boden. Metall klirrte auf Knochen. Zähne ließen los, scharfes, schmerzhaftes Gebell. Wütendes Knurren, Winseln, Zehennägel, die über den Asphalt schlitterten, klirrende Schläge einer Schaufel. Ein Männergesicht schaute mich an, pockennarbig und schwarz vor Bestürzung. Ich hatte keine Ahnung, was er sagte, aber er half mir vom Boden hoch, legte mir den Arm um die Taille und führte mich in sein Haus. Sie hatten eine Schar Porzellan-Enten auf der Fensterbank und hatten sich gerade einen Boxkampf im spanischsprachigen Fernsehen angesehen. Die hektischen, hilflosen Handbewegungen seiner Frau; das saubere Handtuch verfärbte sich rot. Ihr Mann wählte eine Telefonnummer.
Ed fuhr mich in die Notaufnahme, ich hatte einen Waschlappen über dem Gesicht und ein Handtuch auf dem Schoß, das das Blut aus meinen Armen aufsaugen sollte. Er gab mir einen Schluck aus dem kleinen Flachmann mit Jim Beam, den er im Handschuhfach aufbewahrte. Ich wusste, dass es schlimm aussehen musste, wenn Ed seinen Schnaps mit mir teilte. Er begleitete mich jedoch nur bis zum Rezeptionsbereich der Ambulanz. Es gab Grenzen. Ich war schließlich nicht sein eigenes Kind. Er setzte sich auf eine Bank ins Wartezimmer und schaute auf den in die Wand eingelassenen Fernseher; Leno begrüßte gerade den nächsten Gast seiner Show. Er hatte gar nicht allzu viel verpasst. Ich zitterte, während die rothaarige Krankenschwester eine Tabelle ausfüllte. Danach führte sie mich nach hinten. Ich erzählte ihr, dass ich Geburtstag hätte, dass ich fünfzehn geworden und dass Ed nicht mein Vater sei. Sie drückte mir die Hand, forderte mich auf, mich auf ein steifes, schmales Bett zu legen; dann gab sie mir eine Spritze, irgendetwas Gutes, um mich zu entspannen, vielleicht auch nur, weil ich Geburtstag hatte. Ich erzählte ihr nicht, wie gut ich mich danach fühlte. Wenn man schon verstümmelt wurde, dann gab es wenigstens Drogen. Sie zog mir die Kleider aus. Als ich den zerfetzten Kaschmirpullover sah, kamen mir die Tränen.
»Werfen Sie ihn nicht weg!«, flehte ich. »Bitte geben Sie ihn mir wieder.«
Ich presste die Überbleibsel meines luxuriösen Lebens an meine gesunde Gesichtshälfte, während sie die Wunden reinigte und mir ein wunderbar taubes Gefühl injizierte. Sie sagte, ich solle ihr ruhig sagen, wenn es wehtue. Der rothaarige Engel. Ich liebte Krankenschwestern und Krankenhäuser. Könnte ich nur in einem Ganzkörperverband aus Mull daliegen, mit dieser netten Frau als Pflegerin. Katherine Drew stand auf ihrem Namensschild.
»Du hast Glück, heute Nacht hat Dr. Singh Dienst«, sagte Katherine Drew. »Sein Vater war Schneider. Er macht Maßarbeit. Er ist der Beste, den wir haben.« Ihr Mund lächelte, doch aus ihren Augen sprach Mitleid.
Der Doktor trat ein; er sprach in einem Singsang, der wie eine Satire klang, wie in einem Film mit Peter Sellers, den ich mal gesehen hatte. Doch Dr. Singhs braune Augen trugen die geballte Last aller Notfälle, die er je gesehen hatte, das Blut, das zerfetzte Fleisch, das Fieber und die Schusswunden; es war ein Wunder, dass er sie überhaupt noch offen halten konnte. Er begann mit dem Nähen, zuerst mein Gesicht. Ich fragte mich, ob er aus Bombay kam, ob er wusste, dass dort gerade Mittagszeit war. Die Nadel war gebogen, der Faden schwarz. Schwester Drew hielt meine Hand. Einmal wurde ich beinahe ohnmächtig, und sie brachte mir Apfelsaft, der so süß schmeckte wie Hustensirup. Sie sagte mir, wenn sie die Hunde nicht finden würden, müsste ich noch mal wiederkommen.
Jedes Mal, wenn mein Gefühl sich wieder zurückmelden
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