Wenn das Herz im Kopf schlägt
eines jungen Mannes war er durchs Haus gestolpert. Immer weniger fähig, seine Bewegungen zu koordinieren, hatte er zum Schluss nur noch im Bett gelegen und die Decke angestarrt. Brigitte und er waren im Wechsel nachts aufgestanden und hatten ihn umgebettet. Tagsüber war Brigitte mit ihm allein. Stundenlang hatte sie jeden Tag an seinem Bett gesessen, und als er starb, war sie dem Schmerz nicht gewachsen gewesen. Mit ihrem toten Kind hatte sie sich eingeschlossen, und als das Bestattungsunternehmen den Leichnam abholen wollte, hatte er die Tür eintreten und seine Frau mit Gewalt festhalten müssen.
Joop hat von Janine erzählt. Von ihrer Spontaneität, die er so liebte, und die ihm dann oftmals zu weit ging, vor allem, wenn sie spontan mit einem anderen Mann ins Bett wollte. Er hat sie rücksichtslos genannt, und Böhm hat die ersten Risse in seiner Loyalität ihr gegenüber herausgehört.
Joop ist mit seinen blonden Locken und leuchtend blauen Augen ein schöner Mann. Außerdem ist er charmant. Brigitte hat einmal gesagt: Der könnte ruhig hässlich sein. Wenn der mit mir spricht, habe ich immer das Gefühl, ich wäre das Einzige von Bedeutung auf dieser Welt. Diese sensible Aufmerksamkeit, mit der er Menschen begegnet, hat Böhm, vor allem bei Zeugenvernehmungen, schon oft genutzt.
Gegen Mitternacht ist van Oss nach Hause gefahren und er zu Bett gegangen. Bis halb zwei hat er sich herumgewälzt. Dann hat er Brigitte eine SMS geschickt:
Ich liebe dich! Ich will mit dir alt werden!
Danach hatte er tief und fest geschlafen.
Die dünne Wolkenschicht vor der Sonne zieht sich immer weiter auseinander. Er schaut auf die Uhr, dreht um und läuft zurück.
Um kurz nach acht erreicht er das Präsidium. Steeg ruft ihm aus seinem Zimmer entgegen: »Peter! Die Kreditkarte aus Duisburg ist nach dem Internetcafé nicht mehr benutzt worden.«
Böhm geht zu ihm hinein. »Morgen Achim. Hast du den letzten Bericht von Lembach gelesen?«
»Ja, aber der Boden war doch nass. Er müsste doch auch unter der Grasnarbe nachgegeben haben.«
»Es hat erst nach Mitternacht angefangen zu regnen.« Böhm geht hinüber in sein Büro und schaltet den PC ein. Abrupt dreht er sich um und läuft in Steegs Büro zurück. »Du hast Recht!«
»Was?«
»Der hatte das mit dem Schuhwechsel nicht geplant. Der Regen hat ihn überrascht, und da musste er sich was einfallen lassen!«
Steeg nickt. Er geht zum Fenster. Auf der Fensterbank steht eine Batterie von Tassen, dazwischen eine vor Wochen verdurstete Minipalme, braun und so tot wie Gietmann. Sein Büro geht nach hinten hinaus. Er schaut auf den Parkplatz und eine graue Wand mit weißen Garagentoren. »Den Tathergang können wir jetzt ziemlich genau rekonstruieren. Der Täter ruft Gietmann an und bestellt ihn zum Hochstand. Sie gehen gemeinsam zur Landstraße und dann den Wirtschaftsweg auf der anderen Straßenseite hinauf. Gietmann wird mit einem Knüppel niedergeschlagen und gefesselt. Der Täter verklebt seinen Mund und schneidet ihm die Pulsadern auf. Dann wartet er. Es beginnt zu regnen. Er sieht, dass er Fußspuren hinterlässt, nimmt Gietmann die Schuhe weg und zieht sie an. Als der Mann tot ist, packt er den Knüppel ein, das Handy, die Autoschlüssel, seine eigenen Schuhe und geht. Fehlt nur das Motiv.«
Böhm nimmt eine Tageszeitung vom Stuhl, sieht sich um und legt sie auf die Papierstapel auf Steegs Schreibtisch. »Wie findest du hier was wieder?«
»Wieso? Was brauchst du?«
»Es fehlt nicht nur das Motiv, sondern auch der Täter. Könntest du mir einen Gefallen tun, Achim? Könntest du mit den Kollegen in Duisburg noch mal Kontakt aufnehmen? Die sollen in dem Internetcafé nachfragen. Vielleicht ist ja jemand aufgefallen.«
Steeg setzt sich wieder an seinen Schreibtisch. »Ja, mach ich. Sag mal, wo ist Joop?«
»Im Archiv, oder? Ich habe ihn noch nicht gesehen.«
»Sein Auto ist jedenfalls da, aber im Archiv ist die Kleine. Wie heißt sie noch?« »Nadine!«
Achim trommelt mit den Fingern auf die Schreibtischunterlage. »Ah ja, dann ist unser holländischer Gigolo natürlich auch im Keller. Hätte ich mir doch denken können.«
Böhm steht auf. »Na! Hauptsache, sie bringen mir ein Ergebnis. Es muss da irgendwas geben.« Er kratzt sich mit der Linken durch den grauen Haarkranz. »Diese Leute reden nicht, verstehst du. Bei meinen Vernehmungen gestern hatte ich immer das Gefühl, die sind vorsichtig. Die wollen sich nicht verplappern. Sogar bei dieser Wirtin war das
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