Wenn keiner dir glaubt: Thriller (German Edition)
die beiden von einer Frau im mittleren Alter mit ziemlich prallen, kirschroten Lippen und dichtem, perfekt gestyltem Haar begrüßt. Sie trug eine schwarze Hose mit einem dazu passenden Oberteil, dessen weite Puffärmel in breiten weißen Manschetten endeten. Das Outfit kaschierte die apfelförmige Figur. Eine lange silberne Halskette rundete die Erscheinung ab.
»Schön haben Sie es hier«, lobte Anya, als sie das blank polierte Parkett im Erdgeschoss bewunderte. »Wohnen Sie schon lange hier?«
»Im November sind es vier Jahre. Unser Sohn hat uns das Haus nach seiner ersten Collegemeisterschaft gekauft.«
In ihrer Stimme schwang ein solcher Stolz mit, dass man hätte meinen können, ihr Sohn habe jeden einzelnen Sieg für die Mannschaft im Alleingang errungen.
»Er ist ein fantastischer Sohn und ein so guter Junge. Einen besseren kann man sich als Mutter gar nicht wünschen«, setzte sie hinzu.
»Die ganze Familie könnte gar nicht stolzer sein.« Nun kam der Vater ins Zimmer und reichte ihnen die Hand. Sie war groß, rissig und schwielig. Er war körperliche Arbeit gewöhnt oder war es gewesen.
Von der Diele bis ins Wohnzimmer hingen an jedem freien Plätzchen gerahmte Fotos von Liam. Ein Bild zeigte ihn in jüngeren Jahren, zusammen mit zwei weiteren Kindern, einem Jungen und einem Mädchen. Darauf zielte Ethan ab.
»Wie viele Kinder haben Sie denn?«
Die Brust des Vaters fiel in sich zusammen. »Drei, aber unser Ältester ist vor zwei Jahren von uns gegangen. Unsere Tochter lebt noch in Minnesota, bei meiner Schwester. Wir sorgen für ihren Sohn, bis sie mit der Highschool fertig ist.«
Demnach musste die Tochter, überlegte Anya, phasenweise alles hingeschmissen haben, oder sie hatte das Baby noch während der Schulzeit bekommen. Das erklärte aber nicht die geringe Zahl an Fotos. Nicht selten verbannen Trauernde aus Gram die dauernde Erinnerung an den Verstorbenen aus ihrem Heim, aber es war doch schwer vorstellbar, dass eine Mutter praktisch jedes Bild ihres verstorbenen Sohnes und ihrer lebendigen Tochter ausmerzte. Liam war offenbar auch im elterlichen Heim der absolute Liebling.
»Wann hat sein Footballtalent sich zum ersten Mal bemerkbar gemacht?«, fragte Ethan.
Der Vater strahlte. »Schon mit drei konnte der Junge das Ei kicken und fangen und schnell rennen. In der Schule hat er jeden Wettlauf gewonnen, und in der Mittelschule kam er dann in die Football-Auswahlmannschaft. Es dauerte nicht lange, bis er bei den höheren Jahrgängen mitspielte. Und das war, bevor der richtige Wachstumsschub einsetzte. Der Trainer hat ihn von Anfang an für Höheres auserkoren. Und was soll ich sagen, er war der Erste in unserer Familie, der es über die Highschool hinaus geschafft hat. Dann wurden mehrere Talentsucher auf ihn aufmerksam, und ehe wir es uns versahen, flatterten die Stipendienangebote von diversen Colleges ins Haus. Und zwar nicht irgendwelche, nein, von Eliteunis. Ich komme aus einer echten Arbeiterfamilie – Mechaniker, Bauarbeiter, wir sind gut mit den Händen. Liam hat es mit dieser Gabe zu einem Traumberuf gebracht.«
»Oma!« Ein Kleinkind lief ins Zimmer und schlang die Ärmchen um das Bein der Großmutter. Mrs McKenzie tätschelte ihm das Köpfchen und schickte ihn auf die Veranda zurück, wo er weiter auf der Tafel malen sollte. Aber wenn man sich den Dreck an seinen Händen und Knien ansah, dann hatte es genau das bisher nicht getan. Und dem Geruch nach hatte es in die Windel gemacht. Anya hätte ihren Sohn in diesem zarten Alter nicht alleine draußen spielen lassen.
»Iiih, Pearl, womit hast du den Knaben denn gefüttert? Das treibt einem ja die Tränen ins Gesicht.«
Mrs McKenzie zog eine Schnute. »Muss der Hackbraten sein. Von dem du dir gleich zwei Teller reingeschaufelt hast. Jonah, jetzt werden wir dir ganz schnell die Windel wechseln.« Sie nahm das Kind bei der Hand und wandte sich ihrem Mann zu. »Vernon, würdest du unseren Gästen etwas zu trinken anbieten? Auf dem Tablett in der Küche steht selbst gemachte Limonade.«
Die drei ließen Ethan und Anya einen Moment allein. »Der älteste Sohn starb bei einem missglückten Drogendeal«, berichtete Ethan leise. »Er hatte seit Jahren Ärger mit der Polizei und saß sogar zwei Jahre wegen Körperverletzung und Diebstahl im Bau. Soweit ich das beurteilen kann, haben die Eltern all ihre Energie in Liam gesteckt, und der Erstgeborene ging leer aus.«
Mr McKenzie stellte ein Tablett mit Getränken auf den Couchtisch. Anya
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