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Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Titel: Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Baehr , Christian Boehm
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er diesen Job antrat, engagierte er als Erstes einen Feng-Shui-Berater, der hinter dem Bürogebäude Kristalle im Boden vergrub und von Bauarbeitern Felsen daraufstapeln ließ. Die Bauarbeiter verstanden die Welt nicht mehr. Mir ging es ähnlich.
    »Also, Luisa«, beginnt Jérôme und lässt sich in seinen protzigen Bürosessel fallen. Ich nehme gegenüber auf einem Stuhl Platz. »Wie du dir denken kannst, habe ich mir die heutige Präsentation ganz genau angeschaut vor dem Hintergrund einer möglichen Beförderung. Du hast gut abgeschnitten.«
    Ich bleibe stumm und schaue ihm dabei zu, wie er seine Rosenquarzlampe ein Stückchen weiter Richtung Monitor rückt. Von wegen böse elektromagnetische Strahlungen und so. Seine Assistentin bezeichnet das Ding gerne als Salzleckstein.
    »Aber es gibt noch eine Präsentation von Mike, die wir abwarten wollen. Danach werden wir uns entscheiden, wem von euch beiden wir diese Aufgabe übertragen wollen.«
    »In Ordnung. Kannst du mir schon sagen, wann das ungefähr sein wird?«
    »Relativ bald. Es wird dann alles ganz schnell gehen, sobald entschieden ist, wer von euch den Job bekommt.« Er muss gar nicht hinzufügen: Kreativdirektor in Paris. Ich sehe mich schon jetzt in meinem neuen riesigen Büro mit Blick auf den Eiffelturm.
    »Danke, Jérôme. Ich bin gespannt.«
    Goldener Herbst . Warum ist mir das eigentlich nicht sofort eingefallen? Von meinem Büro aus rufe ich die Floristin an, die mir für die Hochzeit empfohlen wurde. Wir sind uns sofort einig: dunkle Rot- und Cremetöne für die Blumen und goldene Akzente würden eine wunderbare Tischdekoration abgeben. Dann vereinbare ich gleich noch Termine bei drei Brautmodegeschäften. Das Motto steht – jetzt kann es richtig losgehen.
    Um die gelungene Präsentation zu feiern, lade ich Mark am Abend zum Essen ein. Danach landen wir in einer ziemlich schicken Bar mit ausgesprochen vorteilhafter Beleuchtung. Deshalb erkenne ich Marks Mutter anfangs auch gar nicht, als sie plötzlich vor uns steht: Sie sieht so jung aus. Was allerdings auch an dem attraktiven Mann liegen kann, an dessen Arm sie hängt. Und an dem Eistee in ihrer Hand. Operettenhaft wirft sie sich in Marks Arme. »Mein Sohn! Wie schön, dass wir uns treffen!«
    »Ja, Anette, das ist aber eine Ü-überraschung«, stottert Mark und strahlt dann fast etwas verlegen, als auch er merkt, dass das in ihrem Glas kein Cocktail ist. Mich umarmt Anette ebenfalls fest. Ich fühle mich einen Moment erdrückt.
    »Das ist Dominik«, stellt sie uns ihren Begleiter vor. »Er ist Regisseur und unheimlich begabt!«
    »Vor allem bin ich unheimlich begeistert von deiner Mutter«, sagt Dominik lächelnd zu Mark. O, là, là! Was für ein Charmeur. Sieht aus, als brächte Anette ihre Ablenkung von ihrem Exmann selbst zur Hochzeit mit.
    »Das freut mich«, sagt Mark. Er wirkt immer noch verlegen und ziemlich verwirrt. »Das ist jetzt wirklich ein Zufall«, wiederholt er mehrere Male, bis er sich endlich wieder fängt. »Aber eigentlich trifft es sich ganz gut, ich, also wir wollten sowieso mit dir reden, Anette …«
    Mark
    Wenn mein Leben ein Film wäre, zum Beispiel mit George Clooney in der Hauptrolle, nur mal so als Vorschlag, dann würde ich als Kinogänger jetzt sagen, solche Zufälle gibt’s in Wirklichkeit ja gar nicht. Was es in München aber in Hülle und Fülle gibt, sind Cafés, Bars und Kneipen, und ausgerechnet beim ersten Besuch in dieser Bar treffen wir meine Mutter, die ich, seit sie mich aufs Internat geschickt hat, Anette nenne. Damals beschloss ich, dass ich keine Mutter mehr habe, jedenfalls keine, die diesen Namen verdiente. Ich bin kein Ornithologe, kann also nicht genau sagen, ob Rabenmütter wirklich so schreckliche Mütter sind. Meine Mutter jedenfalls war in dieser Rolle hollywoodreif.
    Erstens war sie ständig unterwegs, zweitens, wenn gerade mal zu Hause, immer schlecht gelaunt und drittens meist schon nach dem Aufstehen beschwipst. »Prosecco am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen«, pflegte Anette, wenn ich sie schief anschaute, ihren Text aufzusagen. Damals konnte sie sich ihren Text noch merken. Kurze Zeit später hat das Publikum sie dann von der Bühne gebuht. Ich hätte wahrscheinlich auch gebuht, wenn ich fünfzig Mark für die Karte gezahlt hätte, und die Protagonistin dauernd lallend auf die Knie gefallen wäre. Nach fünf Minuten hatten auch die Leute auf den billigen Plätzen ganz hinten unterm Dach kapiert, dass das kein Slapstick war, sondern

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