Wie ein Blütenblatt im Sturm
hinter ihm wieder aufbrauste. »Noch ein Spion von Wellington!« schrie Lemercier. »Tötet sie!«
Ein Stein traf Rafes Schulter und brachte ihn einen Moment aus dem Gleichgewicht. Als er sich wieder gefangen hatte, warf er einen raschen Blick zurück. Lemercier hatte die Menge aufgestachelt und führte sie in der Verfolgung an.
Durch Maggies Gewicht war Rafe zu langsam, und es würde ihm niemals gelingen, der Menschenmasse davon-zulaufen. Es gab nur eine Hoffnung. Er zog die Pistole aus der Tasche und entsicherte sie mit einer Hand. Einen kurzen Augenblick lang fuhr ihm wieder das entsetzliche Bild durch den Kopf, wie der Mob über Maggie herfiel, und er überlegte schon, ob er die einzige Kugel in ihren Kopf jagen sollte.
Doch der Gedanke verschwand, so schnell er aufge-taucht war. Er konnte Maggie nichts antun, selbst wenn er sie dadurch vor einem häßlicheren Tod bewahrt hätte.
Er hob die Hand und hielt die Pistole mit ausgestreck-tem Arm von sich, dann zielte er mit der gleichen Gelassenheit, wie er auf Tontauben zielen würde.
Die Zündung knisterte merkwürdig, und für einen furchtbaren Augenblick dachte er, die Pistole würde nicht losgehen.
Dann bäumte sich die Waffe in seiner Hand auf. Die Zeit verlangsamte sich, und er konnte förmlich sehen, wie die Kugel vorwärtsschoß, sich drehte, drehte … und zwischen Lemerciers Augen einschlug.
In der gleichen verzerrten Langsamkeit nahm Rafe wahr, wie sich der Gesichtsausdruck des Franzosen von gemeiner Lust zu ungläubigem Schock wandelte. Ein kleines Rinnsal Blut drang aus dem Loch in der Stirn, als die Wucht des Schusses ihn in die Arme der Leute hinter ihm zurückschleuderte. Der Anblick ihres toten Anführers löste den Zusammenhalt des Mobs in verwirrtes Durcheinander auf.
Rafe verschwendete keine Zeit mehr mit Zusehen. Er packte Maggie fester, wandte sich um und floh in das La-byrinth der Gassen, hastet nach links, dann nach rechts, schließlich wieder nach links. Der unerwartete Schuß hatte die Menschenmenge lange genug aufgehalten, so daß er aus ihrer Sicht verschwinden konnte.
Nachdem Rafe fünf Minuten so schnell er konnte gerannt war, ohne einen Verfolger zu bemerken, kam er taumelnd zum Stehen. Es gab zwar keinen Zentimeter von Maggies Körper, der ihm mißfiel, aber sie war kein Federgewicht, und seine Lungen brannten vor Erschöpfung.
Nach Atem ringend, legte er sie auf das Straßenpflaster und untersuchte sie rasch. Es war zu dunkel, um viel erkennen zu können, aber Atmung und Herzschlag schienen stark und normal.
In der Ferne konnte er noch immer das Geschrei vom Place du Carousel hören. Endlich hatte er wieder genug Atem, hob sie auf die Arme und setzte sich erneut in Bewegung. Schließlich bog er auf einen der Boulevards ein und winkte einem Wagen, dessen Kutscher er anwies, sie zum Hotel de la Paix zu bringen.
In der Abgeschiedenheit der Kutsche zog er sie auf seinen Schoß, und ihr schwarzer Umhang ergoß sich über sie beide. Obwohl sie ihren Hut verloren hatte, waren ihre blonden Haare noch unter einem schwarzen Schal verborgen. Er band ihn auf und untersuchte behutsam die Stelle, wo der schwere Stiefel sie getroffen hatte. Er konnte nur hoffen, daß der Tritt ihr keinen körperlichen Schaden zugefügt hatte. Zu seiner Erleichterung sah es so aus, als hätten die dicken Locken das meiste abgefangen.
Den Rest der Fahrt wiegte er sie in seinen Armen und versuchte, ihren ausgekühlten Körper zu wärmen. Ein Hauch ihres exotischen Dufts hing in ihrem Haar und erinnerte an die strahlend schöne Gräfin. Doch zu seinem eigenen Erstaunen erkannte er, daß er im Augenblick mehr Zärtlichkeit als Begierde empfand.
Als sie das Hotel de la Paix erreicht hatten, stieg er aus der Kutsche, warf dem Mann ein Goldstück zu und trug Maggie, ohne sich umzusehen, die Stufen hinauf. Der Portier wirkte verdattert, sagte aber nichts. Man stellt einem Duke keine unbotmäßigen Fragen, auch nicht, wenn er ei-ne derangierte, bewußtlose Frau in den Armen hielt.
Ein Tritt gegen die Tür seiner Suite ließ seinen Kammerdiener heranhasten. Rafe trug Maggie hinein und fauchte: »Der Concierge soll ein Mädchen wecken und sie mit einem sauberen Nachthemd herschicken. Dann hol einen Arzt. Ich will ihn innerhalb einer halben Stunde hier sehen, und wenn du ihn mit einer Pistole zwingen mußt.«
Die Suite war klein und besaß kein Gästezimmer, also brachte Rafe sie in sein Schlafzimmer. Die schwarzgeklei-dete Gestalt wirkte winzig in seinem
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