Wild wie das Meer (German Edition)
nicht gegen Cliffs Entscheidung auf. Jetzt würde sie zumindest sicher nach Hause gebracht. Dankbar umschloss sie Cliffs große, raue Hände. „Hab Dank, Cliff, das werde ich dir nie vergessen.“
Seine Lippen bildeten einen dünnen Strich.
Nun war es Mitte Mai. Die lange Überfahrt hatte sich als schwierig erwiesen, denn mehrere Stürme und ungünstige Windbedingungen hatten Cliffs Schoner aus dem Zeitplan gebracht. Die Reise barg zudem große Gefahren. Cliff hatte rund um die Uhr Wachposten aufgestellt, die jedes Kriegsschiff melden sollten, Freund oder Feind. Zweimal waren sie nur knapp amerikanischen Schiffen entkommen; und einmal hatte die „Amelie“ sogar die Flagge der Vereinigten Staaten gehisst, um einer Verfolgung zu entgehen. Doch alles in allem war die Fahrt lang und trostlos gewesen, und daher war Virginia erleichtert, als sie endlich die amerikanische Küste erreichten.
Nun saß sie mit klopfendem Herzen in einer offenen Kutsche, die sie in Norfolk gemietet hatte, und konnte es kaum abwarten, ihr Zuhause am Ende der langen Zufahrt auftauchen zu sehen. Ein wehmütiges Lächeln umspielte ihre Lippen, denn das Haus bot wie eh und je einen herrlichen Anblick. Endlich war sie nach der langen Zeit wieder zu Hause, und zum ersten Mal seit der Abreise von England konnte sie wieder lächeln.
Hier würde sie Devlins Kind zur Welt bringen, und alles wäre wieder in Ordnung.
Doch Tränen trübten ihre Freude, und großer Kummer befiel sie, sobald sie nur an Devlin dachte. Um sich abzulenken, richtete sie den Blick auf die Felder, die noch nicht bepflanzt waren, da es für die Setzlinge noch zu früh war. Sie rechnete nicht mit guten Erträgen, da die Plantage beinahe ein Jahr zum Verkauf gestanden hatte. Doch jetzt war Sweet Briar schuldenfrei, und daher könnte Virginia wieder Geld aufnehmen, um die Plantage über den Winter zu bringen. Zudem hatte es viel geregnet, das sah sie an dem dichten Gras auf den Wiesen und der üppigen Blumenpracht in den Vorgärten.
Von Vorfreude erfüllt, blickte sie wieder zum Haus. Sie atmete tief ein und genoss die frische, salzhaltige Luft ihrer Heimat, die ihr wie ein Lebenselixier vorkam; und endlich verspürte sie auch wieder Appetit.
Eine schmale, große Gestalt erschien auf der Veranda. Virginia lächelte und winkte Tillie zu, als die Kutsche vor dem Haus hielt. Sie würde es schaffen. Bislang hatte sie insgeheim an ihrer Kraft gezweifelt, doch jetzt wusste sie, dass Sweet Briar sie und das Kind retten würde.
Tillie war reglos auf der Veranda stehen geblieben. Wie gelähmt starrte sie Virginia an.
Virginia stieg aus der Kutsche. „Tillie!“ Und das Glücksgefühl, wieder daheim zu sein, erfüllte ihr Herz mit unbeschreiblicher Wärme.
Tillie jauchzte vor Freude. „Virginia! Virginia, du bist es wirklich!“ Mit gerafften Röcken stürmte sie die Stufen hinunter. Virginia eilte ihr entgegen, und die beiden Frauen fielen sich in die Arme.
„Seit deinem Brief im Februar habe ich nichts mehr von dir gehört“, rief Tillie außer Atem, löste sich aus der Umarmung und umschloss Virginias Gesicht. Virginia hatte ihr von der Vermählung berichtet und ihr voller Freude mitgeteilt, dass Devlin ihr die Plantage zur Hochzeit geschenkt hatte. „Du hast mich gar nicht wissen lassen, dass du nach Hause kommst. Warum hast du mir nicht geschrieben? Und warum bist du so blass wie ein Geist und so hager im Gesicht?“
Virginia umarmte ihre Freundin erneut. „Ich hatte keine Zeit mehr, dir ausführlich zu schreiben“, sagte sie atemlos.
„Und du kommst allein?“ Tillie legte einen Arm um sie und versteifte sich erstaunt, denn Virginias Mantel hatte den leicht gewölbten Bauch verdeckt. „Du erwartest ein Kind?“
Virginia nickte und brachte plötzlich kein Wort mehr heraus. Ihre Blicke trafen sich.
Tillie hob verblüfft die Brauen. „Was ist geschehen?“
Virginia schluckte schwer. „Meine Ehe ist gescheitert, Tillie, und ich werde von nun an hierbleiben.“
Virginia verwendete ihre ganze Kraft auf die Leitung der Plantage, obwohl Tillie sie fortwährend schalt, sie müsse sich in ihrem Zustand schonen. Die Setzlinge wurden in der letzten Maiwoche verpflanzt, und es sah ganz danach aus, als hätten sie genug Tabakpflanzen für eine gute Ernte.
Virginia wollte vom Krieg nichts hören, aber es war unmöglich, den Nachrichten aus dem Weg zu gehen. Auf kanadischem Boden kam es unablässig zu Gefechten. Beängstigend war zudem, dass vier Sklaven aus Sweet Briar
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