Willi von Bellden (German Edition)
Selma hatte uns schon darauf vorbereitet, dass wir ganz allein im Haus sein würden, da ihre Schwiegereltern sich noch in Italien aufhielten, wo die beiden Rentner das halbe Jahr verbrachten. So parkte Tanner den Wagen in der dafür vorgesehenen Einfahrt, bevor er den Schlüssel herauskramte, mit dem er die mächtige dunkel gebeizte Holztür mit den vielen Schnitzereien aufschloss. Von dort aus gelangte man in einen wunderschönen Innenhof, der berankt war von vielen alten Weinstöcken und Efeu. Hier teilte sich das Haus in zwei Einheiten. Links wohnten die Eltern von Toni, und rechts waren Selma, Anna Maria und Toni zu Hause. Man konnte allerdings schon an der dekorativen Gestaltung der jeweiligen Haustüren erkennen, welche Partei in welcher Einheit wohnte. Entschlossenen Schrittes steuerten wir auf den rechten Part zu, der moderner gehalten war. Sobald ich den Eingangsbereich betrat, war ich gefesselt von den wunderschönen antiquarischen Möbeln, die geschmackvoll angeordnet, zudem stilvoll dekoriert waren. Die Decken waren üblicherweise hoch, verziert mit entzückenden Stuckarbeiten, was darauf schließen ließ, dass Toni einer äußerst wohlhabenden Familie entstammte.
An den Wänden hingen Bilder in goldfarbenen imposanten Rahmen, die mich fast ein wenig an diejenigen erinnerten, die in dem Haus von Mathis hingen.
Langsam gingen wir von Raum zu Raum, bis wir vom Wohnzimmer aus, das im Gegensatz zu den anderen Räumen modern und sehr gemütlich gehalten war, in Tonis Arbeitszimmer gelangten. Das Büro war völlig pragmatisch eingerichtet. Ein großer, ums Eck gehender Schreibtisch und die Wände voller Regale, die gefüllt waren mit Hunderten von archäologischen Zeitschriften und Büchern. Tanner verlor keine Zeit; sofort begann er wild herumzuschnüffeln. Ich setzte mich auf den weichen Berber, der inmitten des Raumes lag, neben einem gemütlich aussehenden Ohrensessel und einem Glastisch, auf dem eine verstaubte grünliche Leselampe stand, mit bronzenen altmodischen Füßen.
Es war merkwürdig, sich in einem Zimmer aufzuhalten, dessen Besitzer ein ungewisses Schicksal ereilt hatte. Mein Herrchen durchsuchte die Regale, griff hier und da nach einem Buch oder einem Ordner, um sich dann dem Schreibtisch zu widmen. Ich hatte nach einigen Minuten das Gefühl, als wären bereits Stunden vergangen. Allmählich verspürte ich ein nagendes Hungergefühl. Meine Portion am Morgen hatte anscheinend nicht ausgereicht, um meinen Energiebedarf nach dem Abenteuer mit Churchill und den gewaltigen Kraftanstrengungen danach zu decken. In der Hoffnung, dass mein Herr und Gebieter nicht mein leibliches Wohlbefinden vergaß, sah ich ihm weiter zu, wie er sämtliche Schubladen durchwühlte und Papiere von Toni durchsah. Seufzend legte ich meinen Kopf auf die Pfoten. Hier, in diesen Räumlichkeiten herrschte eine angenehme Kühle, während draußen die Sonne ihren Höchststand erreichte und die letzte, fast sommerliche Hitze abgab. Interessiert beobachtete ich, wie mein Herrchen sich an einer Schublade zu schaffen machte, die sich im linken Fach des Schreibtisches befand. Sie war abgeschlossen. Nachdem er akribisch alle potenziellen Stellen im Zimmer umsonst durchsucht hatte, die für das Versteck eines Schlüssels infrage kamen, blieb sein Blick an einer Vase hängen, die auf dem Kaminsims stand. Sofern ich das beurteilen konnte (schließlich bin ich der Hund eines eingefleischten Archäologen), handelte es sich dabei um einen mittelalterlichen Steingut Krug, wie er in alten Brunnen zu Dutzenden gefunden wurde, bei dem der Ausguss abgebrochen, aber alles andere ansonsten noch sehr gut erhalten war. Er war aus Ton und hatte eine hellbraune, glänzende Glasur.
»Ich werde verrückt ...«, stammelte Tanner vor sich hin, »da ist ja der Krug, den wir damals bei unserer Zechtour in Budweis von einem befreundeten Archäologen geschenkt bekamen!«
Neugierig nahm er das Stück in die Hand. Dabei entstand ein metallisches Geräusch.
»Dacht ich mir ’s doch!«, murmelte Tanner mit arroganter Überlegenheit in der Stimme. »Wir Archäologen haben unsere eigenen Verstecke!«
Er stülpte ihn um, und zum Vorschein kamen zwei kleine Schlüssel an einem silberfarbenen Ring, die nicht identisch waren. Sofort versuchte er, damit die verschlossene Schublade zu öffnen, was ihm tatsächlich mit dem kleineren Schlüssel der beiden gelang. Es war an der Zeit einen Platzwechsel vorzunehmen, damit ich auch nichts von dem verpasste, was gleich
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