Willi von Bellden (German Edition)
Frankreich, da waren sich beide ausnahmsweise absolut einig.
Wir hatten Glück. Wie selbstverständlich rief Tanner uns am nächsten Tag zu sich und machte eine einladende Bewegung in Richtung der offen stehenden Wagentür. Freudig sprangen Basko und ich auf die Rückbank, die Anny extra für uns mit einer weichen Decke ausgelegt hatte. Wahrscheinlich war sie froh, uns los zu sein, damit sie sich ganz dem Köter widmen konnte, schoss es mir zuerst durch den Kopf, doch dann schalt ich mich wegen dieses dummen Gedankens. Anny wusste genau, wie begierig wir darauf waren mitzufahren, außerdem war sie bestimmt froh darüber, ihren Mann nicht ganz allein zu wissen. Schließlich konnte sie sicher sein, dass wir im Notfall zuverlässige Hilfe leisteten. Spätestens seit dem Vorfall mit dem jungen Deschler, als er Tanner töten wollte, war sich jeder im Klaren darüber, welch entscheidende Rolle ich als Hund innehatte, nämlich die eines Beschützers und Lebensretters.
So rauschten wir winkend und bellend davon Richtung Frankreich. Mittlerweile kannte ich diese Strecke beinahe in- und auswendig. Als ich auf dem weichen Sitz lag, den Kopf auf meinen Vorderpfoten, in meinen Ohren die zarten Klänge eines mir unbekannten Interpreten, sah ich meinem Freund ins Gesicht, der es sich ebenso gemütlich gemacht hatte. Für einen Moment spürte ich vollkommenes Glück in mir. Ich wünschte, dieser Augenblick würde nie vergehen, und die ganze Welt würde gerade jetzt in diesem Moment zum Stillstand kommen. Tat sie aber nicht. Die Landschaften, Häuser mit ihren Scheunen, Burgen und Schlösser flogen nur so an uns vorbei und sorgten mit ihrem bloßen Dasein dafür, dass wir der Realität nicht entfliehen konnten. Der Regen, der unerbittlich an unsere Fenster trommelte, tat sein Übriges. Bello sei Dank ließ dieser nach einer geraumen Weile wieder nach, sonst wäre ich in eine ernst zu nehmende Depression verfallen. Doch der Himmel über uns blieb grau, nicht ein einziger heller Streifen war am Horizont auszumachen.
Kurz vor Dijon fing ich an, mich mit der unausweichlichen Frage zu beschäftigen, auf welche Art und Weise mein Herrchen Mathis konfrontieren würde. Es gibt ja bekanntlich mehrere Methoden, zum Ziel zu gelangen. Würde er ihm direkt auf den Kopf zu sagen, was Katrin Schubert ihm erzählt hatte, nämlich dass er den Tod eines Menschen verschwieg und sich damit womöglich ebenfalls in allergrößte Gefahr begab?
Oder würde er wie eine Katze um den heißen Brei herumreden? Nein, das war nicht Tanners Art. Aber egal, wie er vorgehen würde, der Konflikt war vorprogrammiert. Wie es schien, steckte Mathis ohnehin in der Klemme. Doch bald würde ich mehr wissen, denn es dauerte nicht mehr allzu lange, bis wir in die Zypressenallee einbiegen konnten.
Schon als Tanner den Wagen neben dem Brunnen anhielt und die Tür öffnete, spürte ich diese vollkommene Stille. Sie hatte sich wie ein Schleier über das sonst so lebendige Weingut gelegt. Es war, als hätten die Vögel beschlossen, ihren Gesang für eine Weile einzustellen, um dem Wind die Chance zu geben, seinen lauwarmen Atem über die Landschaft zu tragen. Ich hielt meine Nase gen Himmel, um wenigstens den beruhigenden Geruch der feuchten Wiesen in mich aufzunehmen, doch vergebens. Das Einzige, was ich erschnuppern konnte, war der Geruch des Regens, der auch hier bald aufziehen würde und schon einmal seine Boten entsandt hatte: die dunklen, drohenden Wolken über uns. Basko schien es ähnlich zu gehen, denn er hielt sich dicht hinter mir, als wir uns auf den Weg zum Haus machten, so, als trüge er eine leise Vorahnung in sich von dem, was uns erwarten würde. In dem Efeu, welches sich an den nackten Steinwänden emporrankte, raschelte etwas in einem ungleichmäßigen Rhythmus, als wäre es der Hohn selbst, der sich einen Spaß mit uns erlauben wollte. Unbarmherzig verdichteten sich die Wolken über unseren Köpfen, und die ersten Regentropfen fielen auf das dunkle Kopfsteinpflaster des Innenhofes.
Auch nach dem dritten ungeduldigen Klopfen meines Herrchens blieb die Tür geschlossen. Kein Geräusch aus dem Haus drang nach draußen, aus dem wir hätten schließen können, dass jemand anwesend war. Tanners Schritte knirschten auf dem Kies, als er zu dem großen grün gestrichenen Scheunentor ging. Es war nicht verschlossen. Zaghaft drückte er dagegen. Das Tor gab ein lautes ächzendes Geräusch von sich, das jäh die angespannte Stille wie ein Schwerthieb durchbrach.
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