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Wilsberg 03 - Gottesgemuese

Wilsberg 03 - Gottesgemuese

Titel: Wilsberg 03 - Gottesgemuese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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mit fünf anderen Passagieren wartete ich in Norddeich auf die Fähre. Schweigsame Gestalten mit dem melancholischen Blick der Inselbewohner. Wer ständig so vom Wind zerzaust wird, kann nicht auch noch Interesse für einen Touristen aufbringen, der ausgerechnet Anfang Februar nach Norderney fährt.
    Als wir das stürmische Meer durchpflügt hatten, kam ich in ein gigantisches Stillleben. Eingeschneite Pensionen und Häuser von Müttergenesungswerken, geschlossene Läden, verwaiste Kneipen und menschenleere Straßen. Ich brauchte einige Zeit, bis ich ein Hotel fand, das geöffnet hatte. Ein moderner, seelenloser Kasten, der den Hautkranken und chronischen Asthmatikern Asyl gewährte, die vor dem Wintersmog der Großstädte flüchteten und reich genug waren, um ihre Krankenkasse nicht zu belästigen.
    Ich nahm ein Zimmer ohne Meeresblick, weil das zwanzig Mark billiger war, stellte meine Tasche ab und ging wieder nach unten in die Lobby, um mir einen Inselplan zu kaufen. Den breitete ich auf einem Tisch aus und suchte nach dem Reha-Zentrum. Drei Objekte kamen infrage, wenn ich der Ortsangabe von Nicole Kemper Glauben schenken wollte.
    Ich packte den Plan und ein Fernglas in den BMW und fuhr inseleinwärts. Am Rand der Stadt, als der Abstand zwischen den Häusern größer wurde und die Natur durchschimmerte, bog ich nach links ab, Richtung Dünen. Das erste Objekt war ein Kurheim der Landesversicherungsanstalt und entsprach noch seinem ursprünglichen Zweck. Das zweite Objekt war ein Kurheim der Bundesversicherungsanstalt und stand leer. Ein großes Schild verkündete, dass der schmucke, alte, stuckverzierte Bau demnächst abgerissen werde. An seiner Stelle sollte, wie ich der Zeichnung auf dem Schild entnahm, ein ungleich größeres und bedeutend hässlicheres Gebäude entstehen.
    Das dritte Objekt, das ich insgeheim favorisiert hatte, lag an der Nahtstelle zwischen Zivilisation und Sand. Es sah aus wie ein Krankenhaus aus den Sechzigerjahren, lang gestreckt und viergeschossig mit Fenstern in gelbem Beton. Auf dem Parkplatz vor dem Gebäude standen Autos. Ich hielt an der Kreuzung vor der Zufahrtsstraße und nahm mein Fernglas zu Hilfe. Ein großes Vordach versperrte den Blick auf den Eingang, der sich in der Mitte befand. Die Fensterfront rechts vom Eingang hatte Jalousien, die bis auf eine geschlossen waren. Ich entdeckte Tische und rote Plastikstühle. Offensichtlich der Esssaal. Ich guckte auf die Uhr: Viertel nach zwei, für das Mittagessen zu spät und für den Nachmittagskaffee zu früh.
    Um nicht im Auto zu erfrieren, stieg ich aus, schlug den Mantelkragen hoch, zog die Hutkrempe tiefer ins Gesicht und mimte den wetterfesten Wanderer. Neben dem Gebäude führte ein Fußweg die Dünen hinauf, und hier hatte ich endlich auch einen kostenlosen Blick aufs Meer. Ich richtete das Fernglas auf etwas, das eine tote Robbe hätte sein können, und drehte mich langsam um, bis ich zufällig die obere Fensterreihe des Gebäudes ins Blickfeld bekam. Eine ältere Frau in Zivilkleidung war das Einzige, was ich erhaschte. Nunmehr drehte ich eine größere Runde um das Gebäude und benutzte dabei den rot gepflasterten Dünenwanderweg. Observation kann manchmal recht gesund sein.
    Als ich, schon etwas erschöpft, wieder am Auto ankam, hatte ich Glück. Im Esssaal gab es Kaffee und Hartgebäck. Und einer der Kaffeetrinker trug eine hochgeschlossene schwarze Jacke mit einem goldglitzernden Abzeichen am Revers. Ich war am Ziel. Eine viel spannendere Frage blieb jedoch vorläufig unbeantwortet: Wie sollte ich hineinkommen und mit Martin Kunstmann sprechen?
    Ungefähr zu dem Zeitpunkt, als sich meine Füße in Eisklumpen verwandelten, kam ein Ordensmann, in schmuckes Schwarz gekleidet, zur Tür heraus. Er schritt auf ein Auto zu und setzte sich hinter das Steuer. Vermutlich wollte er in der Stadt eine Schachtel Zigaretten kaufen oder einen Sechserpack Bier.
    Als er an mir vorbeifuhr, lag ich unter dem Armaturenbrett und zählte bis zwanzig. Dann nahm ich die Verfolgung auf.
    Der Mann fuhr tatsächlich zur Einkaufsstraße von Norderney. Die Straße war so belebt wie ein Nacktbadestrand im Februar, und die Verfolgung bereitete mir einige Schwierigkeiten. Da die Blumenkübel eindeutig in der Mehrzahl waren, versuchte ich gar nicht erst, den lustwandelnden Touristen zu spielen, sondern hielt mich hinter zugigen Häuserecken und Bauzäunen auf. Ein Kribbeln in der Nase verriet mir, dass die nächste Erkältung nicht lange auf sich warten

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