Winterträume
unwillkürlich in lautes »Ah!« und »Oh!« ausbrechen ließ.
Die gesamte Glasfassade des Childs The war auf einmal in ein weiches, tiefdunkles Blau getaucht, ein Blau wie das von Maxfield Parrishs Mondnächten, ein Blau, das gleichsam an die Fensterscheibe brandete, als wollte es das ganze Lokal überfluten. Über den Columbus Circle war die Morgendämmerung hereingebrochen, eine magische, gleichsam atemlose Morgendämmerung, die das Standbild des unsterblichen Christopher in einen Schattenriss verwandelte und deren Licht sich auf eine eigentümliche, geradezu unheimliche Weise mit dem verblassenden gelben Schein der elektrischen Lampen drinnen im Restaurant vermischte.
X
Mr. In und Mr. Out sind bei der Volkszählung nicht mit erfasst worden. Vergebens sucht man sie in den amtlichen Geburts-, Heirats- und Sterberegistern oder gar im Anschreibheft des Krämers. Sie sind der Vergessenheit anheimgefallen, und die Zeugnisse dafür, dass sie überhaupt je existierten, sind vage und liegen im Dunkeln und würden von keinem Gericht als Beweise anerkannt werden. Und doch weiß ich aus allerzuverlässigster Quelle, dass Mr. In und Mr. Out für eine kurze Frist lebten und geatmet haben, dass sie auf diese Namen hörten und ihre eigene, lebendige, ganz persönliche Aura hatten.
In der kurzen Spanne, die ihr Leben währte, wandelten sie im Habit ihres Standes auf dem großen Highway einer großen Nation dahin, wurden ausgelacht, beschimpft, gejagt und gemieden. Und dann verschwanden sie, und niemand hat je wieder etwas von ihnen gehört.
Sie waren schon dabei, wenn auch noch unscharf, Form anzunehmen, als ein Taxi mit offenem Verdeck im ersten zarten Schimmer des heraufdämmernden Maimorgens den Broadway hinuntersauste. In diesem Wagen saßen die Seelen von Mr. In und Mr. Out und diskutierten verwundert über das blaue Licht, das so jäh den Himmel hinter der Statue des Christopher Columbus gefärbt hatte, diskutierten nicht ohne Befremden über die alten, grauen Gesichter der Frühaufsteher, die auf der Straße dahintrieben – blass und wie verwehte Fetzen von Papier auf einem grauen See. Sie waren sich in allem einig, angefangen mit der Absurdität dieses Rausschmeißers bei Childs bis hin zur Absurdität des Lebens an sich. Sie waren wie besoffen von dem Glücksgefühl, das der Morgen in ihren glühenden Seelen wachgerufen hatte und das sie regelrecht zu Tränen rührte. Ja, ihre Lebensfreude war so frisch und übermächtig, dass sie dieselbe durch laute Schreie meinten ausdrücken zu müssen.
»Hia-ho-ho!«, brüllte Peter und hielt sich die Hände wie ein Megaphon vor den Mund, und Dean stimmte ein mit einem Ruf, der zwar nicht minder bedeutungsvoll und symbolträchtig war, seine Resonanz aber gerade dem Umstand verdankte, dass er jeglicher Artikuliertheit entbehrte.
»Jo-ho! Jaa! Joho! Jo-buba!«
Die Fifty-third Street brachte die Begegnung mit einem Bus, auf dessen Oberdeck eine schwarze Bubikopfschönheit saß; die Fifty-second die mit einem Straßenfeger, der beiseitesprang, sich gerade noch retten konnte und mit gequälter, kummervoller Stimme zu ihnen hochschrie: »Mönschnskinner, pass doch uff, woste hinfährst!« In der Fiftieth Street standen ein paar Männer auf dem sehr weißen Trottoir vor einem sehr weißen Gebäude; sie drehten sich nach ihnen um, glotzten ihnen nach und riefen: »He, dolle Party, Jungs!«
In der Forty-ninth Street sprach Peter Dean an. »Hörrlücher Morgönn«, sagte er ernst und wandte seine Uhuaugen zum Himmel empor.
»Scheint so.«
»Heh, sagnse ma, was haltnse einklich von Fröhstöck?«
Dean willigte ein – mit einer Ergänzung.
»Fröhstöck mit Alkoholüka.«
»Fröhstöck mit Alkoholüka«, wiederholte Peter, und die zwei sahen einander an und nickten. »Na logisch.«
Dann brachen alle beide in schallendes Gelächter aus.
»Fröhstöck mit Alkoholüka! Oh, Mann!«
»Gibbs ganich«, erklärte Peter.
»Nich auffe Karte? Kein Problöm. Dann mössen wir se ehmt zwingen. Unter Einsatz von Göwalt.«
»Unter Einsatz von Logück.«
Plötzlich verließ das Taxi den Broadway, fuhr durch eine Querstraße und hielt vor einem massigen Gebäude in der Fifth Avenue, das eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Grabstätte besaß.
»Was ’n jetzt los?«
Der Taxifahrer teilte ihnen mit, dies sei das Delmonico.
Sehr mysteriös. Sie brauchten etliche Minuten höchster Konzentration, denn sollte dergleichen tatsächlich verfügt worden sein, so musste es einen Grund
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