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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Hannes. Sie hat ja alles verkauft. Nicht nur die ganze Ernte, sondern auch die Kühe und die besten Pferde und alles, was an Maschinen was wert war. Und die beiden schönen Vier-Zöller-Ackerwagen, die dein Vater angeschafft hatte. Und wenn du den Hof wieder in Ordnung bringen willst, so reicht es noch nicht einmal, Hans.
    Der Gemeindevorsteher Wilms behielt aber noch weiter recht. Denn zuunterst in der Kiste gab es eine kleine, abgegriffene, schwarze Kalikomappe, und in der lagen erst einmal die fünf Briefe, die Hannes nach Haus geschrieben hatte.
    |410| Na also, sagte der Gastwirt Reese. Man könnte sich ja noch nachträglich empören, aber – und er sah wieder zu dem Jammer auf dem Sofa hin – es hat ja keinen Sinn, sie kann nichts dafür.
    Und dann hatte der Vater Malte Gäntschow ganz Rechtens ein Testament gemacht, datiert vom 3. September 1921 – der Tag nach dem Sedantage, Hannes! – und Johannes Gäntschow war alleiniger Erbe, und nur ein Altenteil für seine Mutter war ausgeworfen.
    Und dann gab es da noch ein kleines schwarzes Büchlein. Und der Amtsvorsteher sah hinein und las und wiegte den Kopf und sagte: Sieh, sieh, das werden Sie auch gut brauchen können, wenn es auch entwertet ist. Herr Gäntschow, da muß mit Zins und Zinseszins durch die Aufwertung doch noch was geblieben sein.
    Und er reichte Johannes Gäntschow das Sparkassenbuch, und der sah auch hinein, und Elise sah über seine Schulter, und die erste Eintragung stammte aus dem Jahre 1910, einhundert Mark im Monat Juli, und dann ging es weiter, Monat für Monat und Jahr für Jahr, immer die gleiche Summe, und nie ein Pfennig abgehoben, bis zum Jahre 1918, und da war es alle. Und Johannes Gäntschow sah lange, lange in das Büchlein mit seinen schönen, sauberen Zahlen, aber er sah die Zahlen nicht, er sah etwas anderes. Und er hob den Kopf und fragte. Und er fragte so, daß sie alle stille wurden und ihn ansahen: Weiß eigentlich einer, was mit dem Grafen Fidde geworden ist?
    Und Gastwirt Reese antwortete: Der ist schon lange tot. Im Auslande gestorben. Acht Jahre oder zehn Jahre, oder sind es erst sieben Jahre?
    Sieben Jahre, sagte Johannes und sah auf die Zahl 1918. Aber er sah wieder die Zahlen nicht, sondern sah den großen, schlanken, grauhaarigen Mann, und er hörte seine Stimme wieder, und er war immer ein untadeliger, aufrechter Mann gewesen, bis auf das eine Mal, da er mit seiner Tochter fortgereist war und dem Knaben Johannes Gäntschow alle Last |411| aufgeladen hatte. Und das konnte man schon verstehen und hatte es längst verziehen – wenn es so etwas wie Verzeihen überhaupt auf der Welt gab. Johannes Gäntschow sah immer weiter in das Zahlenbüchlein und sah nicht hoch davon, als er fragte: Und wann ist seine Tochter gestorben?
    Es war eine so große Stille im Zimmer, daß er nun doch aufsehen mußte. Und aller Augen lagen auf ihm mit einem ganz seltsamen Ausdruck, und schließlich sagte der Amtsvorsteher trocken in all die Stille hinein: Wenn sie nicht seit vorgestern gestorben ist, dann lebt Frau Wendland noch frisch und munter. Freiin Fidde hat nämlich einen Herrn Wendland geheiratet. Schon vor fünf oder sechs Jahren. Einen sehr reichen Herrn aus Hamburg. So, sagte Johannes und klappte das Buch scharf zu. Und da er nun zu allen andern Blicken auch noch die Blicke seiner Frau sehr fragend und eindringlich auf seinem Gesicht spürte, sagte er erklärend zu Elise: Ich bin nämlich mit der Freiin Fidde einige Zeit zur Schule gegangen.
    Ach so, sagte Elise nur.
    Und dann war es wieder ziemlich ungemütlich still, bis schließlich der Amtsvorsteher sagte: Also dann unterschreiben Sie mal das Protokoll, Herr Gäntschow.
    Das tat er denn auch. Und das eingefrorene Reden kam wieder in Fluß. Und die Mutter mußte versorgt werden, und Mittagessen aß man im Schwedischen Hof. Und der Besitz mußte angetreten und Leute entlassen und angenommen werden. Es mußte gebaut und Pferde mußten getauscht werden. Zimmer mußten renoviert und Rindvieh gekauft werden – und eine lange, lange Zeit war von einer gewissen Freiin Fidde nicht mehr zwischen den Eheleuten die Rede.
    Allerdings muß man bedenken, daß jetzt »Maria nicht von dieser Welt« und »Olga, die es mit den Vätern ihrer Kinder nicht so genau nahm«, ihren Einzug in das Gäntschowsche Haus hielten, Namen, die Johannes seinen neuen Dienstmädchen verliehen hatte. Und daß manchmal Frau Schrimm zum Schlachten oder Backen oder auch nur zur Aushilfe kam. |412| Die Mädchen

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