Wölfe der Nacht
sein schmerzender Kopf, lassen es nicht zu. So fangen seine Migräneanfälle immer an.
Bald wird sein Mund nach Metall schmecken. Bald wird die Übelkeit, das saure Rumoren in seinem Bauch außer Kontrolle geraten. Bald wird sein rechtes Auge völlig weiß werden, wie vom grauen Star vernebelt. Der Schmerz, der hinter den Augen anfängt und sich langsam im ganzen Körper ausbreitet, bis er an den Fingerspitzen summt, wird ihn völlig im Griff haben.
Vor sich sieht er eine BP-Tankstelle, das vertraute grüne Schild taucht langsam aus dem regenschweren Dunst auf. Er schaltet das Radio aus. Er bremst ab und umklammert das Lenkrad mit beiden Händen und konzentriert sich so sehr auf einen leeren Parkplatz, dass er den schwarzen BMW übersieht, der von der Zapfanlage wegfährt. Er schneidet ihm den Weg ab, und der Fahrer bremst quietschend und drückt auf die Hupe und schreit etwas Wütendes aus dem Fenster, das Brian nicht verstehen kann.
Er schaltet auf Parken und öffnet das Handschuhfach und holt eine Flasche Excedrin heraus. Er öffnet sie mit dem Daumen und schüttet sich drei Pillen auf die Hand und kippt sie sich in den Mund und zerkaut sie zu einem bitteren Brei, und obwohl er bei dem Geschmack den Mund verzieht, weiß er, dass die Medizin so viel schneller wirkt.
Ein Schatten taucht am Seitenfenster auf – ein Mann, wie Brian erkennt, als das Gesicht vor ihm klar wird – der Mann aus dem BMW . Er trägt ein regengesprenkeltes gelbes Polohemd. »Was ist denn los mit dir, du blödes Arschloch?«, sagt er und knallt die Faust gegen das Fenster, wo sie einen Schmierfleck aus Regenwasser hinterlässt. »Was ist denn los mit dir?«
Brian antwortet nicht, und der Mann verschwindet und der Regen trommelt und der Pick-up schwankt und die Windschutzscheibe sieht aus wie gewellt, als der Wind darüberfegt. Er schließt die Augen und wartet, bis der Schmerz voll einsetzt.
Als seine Augen geschlossen sind, als die Welt dunkel ist und er nirgendwo mehr Zuflucht findet außer in den Höhlungen seines Bewusstseins, denkt er an den Irak: außerhalb von Ramadi, in al Anbar: 2 nd Battaillon, 34 th Marines. An einzelne Tage kann er sich nicht mehr so gut erinnern. Sie vermischen sich und werden zu Splittern und Spritzern eines einzigen unerträglichen Tages, an dem sich nie etwas änderte und alles bis zur Farblosigkeit ausgebleicht war. Die immer gleichen, wässerigen Kartoffeln in einem Haufen auf dem Tablett als Verpflegung. Die immer gleichen Kartenspiele. Das immer gleiche Hantelstemmen auf der verrosteten Bank im Fitnesszelt. Die immer gleichen Wüsten-Kampfanzüge mit Salzflecken an Kragen und Zwickel. Das immer gleiche Brummen der Hummers und Knattern der Helikopter und Fauchen der Mörser und Ballern der Handfeuerwaffen. Die immer gleichen Unterhaltungen über Muschis und Basketball und Actionfilme und aufgemotzte Autos. Die immer gleichen Drei-Stunden-Wachen am Außenposten – Fingernägel kauen und Camels rauchen und in Pornomagazinen blättern und mit dem Absatz ein Loch in die Erde graben und hineinwichsen und zusehen, wie die Soße im Sand versickert –, wonach er fast betäubt vor Langeweile war. Das immer gleiche Nasenbluten, die immer gleichen aufgesprungenen Lippen. Die immer gleichen Dixi-Klos voller Fliegen und der scheißesatten Hitze, die daraus hervorquoll. Die immer gleichen Sandalen, Kaftane, Turbane, Bärte. Die immer gleichen Eukalyptusbäume und Ravennagrasstauden und Gebetsteppiche und Krähen auf Telefondrähten. Die immer gleichen schwarzen Augen hinter schwarzen Hijabs, ein Meer schwarzer Geister, das immer wieder ins Blickfeld wogt. Das immer gleiche Alles. Und alles mit Sand darin, von seinem Diet Pepsi zu seinem M-16 zu seinen Schamhaaren.
Natürlich gab es Augenblicke, die das gleichförmige Vergehen der Tage durchbrachen, die Löcher in seine zyklische Erinnerung an den Irak schlugen. Der Junge in zerschlissenem braunem Kaftan, der einen Stein nach ihm warf und dann in eine Gasse flitzte. Die alte Frau, die sein Gesicht mit ihren Händen berührte und etwas sagte, das klang wie ein wütendes Lied. Das Kamel, das zum Spaß mit einer Leuchtkugel beschossen wurde und mit brennendem Hinterteil schreiend im Kreis lief, weil es den Flammen entkommen wollte. Der Taube, den man mit Kabelbinder gefesselt und zu Boden geworfen hatte, weil er auf ihre Befehle nicht reagierte. Das verkohlte Gerippe eines Chinook Hubschraubers, das man samt der mit seinem Sitz verschmolzenen Leiche des Piloten in
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