Zigeunerstern: Roman (German Edition)
einmal Mode war. Er sieht in sich selbst den direkten geistigen Erben des Schwarzbarts und von Sir Francis Drake und Captain Kidd und Robin Hood und all der anderen Freibeuter und Piraten, die jemals anderen Leuten ihre paar Kröten abnahmen, und wie die meisten von ihnen hat auch er die gleichen edelklingenden Rechtfertigungen für seine Plünderei parat. Aber natürlich ist er im Grunde weiter nichts als ein Krimineller. Wenn du ein Stückchen unter die Oberflächenschicht seines bekennerhaften Idealismus nach unten dringst, dann entdeckst du, was ihm wirklich am Herzen liegt: die Gefahr und die Erregung eines Lebens außerhalb der Gesetze. Und wenn du noch ein Stückchen weiter in ihn eindringst, entdeckst du, dass er sich selbst für weiter nichts hält als für einen Geschäftsmann, für einen Unternehmer auf den Sternenwegen, den hauptsächlich die Kalkulation von Risiko und Gewinn interessiert. Und wenn jemand bis unter diese Schicht vordringen könnte, dann – so glaube jedenfalls ich – würde er im Kern von Valerians Seele das reinste Chaos vorfinden.
Er ist ein Mann, der nicht weiß, was Skrupel sind. Ich jedoch hatte nie Anlass, an seiner Loyalität mir gegenüber zu zweifeln. Ich habe einmal seinen Arsch (oder doch jedenfalls zumindest seinen Hals) gerettet, als er mit sehr schweren Anklagen vor dem großen kris von Galgala stand, und er ist mir dafür noch stets dankbar geblieben.
Nach ihm erschien Thivt. Der ist in meinem Leben die große Besonderheit, die einzige Anomalie, ja vielleicht ist er sogar die große Ausnahme unserer Galaxis. Ich sehe in Thivt meinen Großvater und manchmal – wie bei Polarca – meinen Blutsbruder. Er kennt sich im Leben und den Gebräuchen der Roma auf profunde Weise aus, und ich akzeptiere ihn ohne Zögern als einen Rom. Aber er ist kein Rom, jedenfalls nicht wirklich. Damit will ich nicht sagen, dass er etwa ein Gajo sei, das ist er nämlich auch nicht. Nein, ich bin mir einfach nicht sicher, ob er überhaupt menschlich ist.
Er ist so was wie ein Wechselbalg, ein vertauschtes Kind, und wurde tatsächlich in früher Kindheit von einer Roma-Sippe mitgenommen und von ihr aufgezogen, ganz genauso wie es in den Ammenmärchen der Gaje heißt, denen zufolge so etwas bei Zigeunern im Mittelalter konstant geübter Brauch gewesen sein soll. Ein Erkundungstrupp fand ihn, wie er ganz allein auf einem Planeten im System Thanda Banadareen umherirrte. Er schien fünf, sechs Jahre alt zu sein, und das einzige Wort, das er hervorbringen konnte, hielten die Expeditionsmitglieder für seinen Personennamen. Von Eltern nirgendwo eine Spur, nirgends ein Wrack von einem Raumschiff, keine Anzeichen von Relais-Ausrüstung, nichts, nichts. Trotzdem setzte sich irgendwie die Vorstellung fest, dass das Kind der einzige Überlebende einer nichtregistrierten Privatexpedition sein müsse. Als die Forscher Thanda Banadareen verließen, nahmen sie das Kind mit nach Iriarte zurück, und dort begegneten wir einander etliche hundert Jahre oder so später. Zu der Zeit nahm er bereits einen hohen Rang im Zigeunerrat ein, und er sprach Romansch wie ein echter phral von reinstem Blut. Er hatte sogar die Technik der Geistreise gelernt (soweit mir bekannt ist, der einzige Nicht-Rom, der das jemals meistern konnte). Außerdem gelang es Thivt – und das ist nun wahrhaftig fast einmalig in der Geschichte –, durch Adoption zum Rom zu werden. Es gibt Leute, die glauben, er müsse denn doch wahrlich ein Rom sein von Geburt her, weil er auf Geistreise gehen kann. Ich habe darüber keine Erkenntnisse. Thivt sieht aus wie ein Rom, er spricht wie ein Rom, lebt wie ein Rom, die Roma vertrauen ihm wie einem der ihren; ich aber spüre an ihm etwas, eine Strahlung, eine Vibration, die vollkommen anders ist und die auf etwas völlig Fremdartiges deutet. Im Übrigen bin ich nicht der einzige, der dies spürt.
Kann es sein, dass sich in den noch nicht kartographisch erfassten Wüstengegenden von Thanda Banadareen fremdartige Wesen verbergen und dass sie Thivt in menschlicher Gestalt zu uns entsandten? Als eine Art Beobachter? Vielleicht sogar als Abgesandten? Soweit mir bekannt ist, hat niemals ein Mensch seit jener ersten Expedition, bei der man Thivt auffand, je wieder einen Fuß auf diese Welt gesetzt, um sich genauer zu informieren, was da los ist. Offensichtlich war es keine besonders einladende, bzw. ausbeutungsfähige Welt. Und die Galaxis ist sehr groß, und wir sind nur recht wenige Menschen; die
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