Zitadelle des Wächters
und Tessa zur nächsten Tür auf derselben Gangseite. „Wollt ihr beide ebenfalls ein Zimmer zusammen nehmen?“
„Ja“, sagte Tessa. Sie wollte Varian dabei nicht ansehen, und dieser lächelte breit über ihre Schüchternheit, die trotz des bestürzenden Traumas ihrer Vergangenheit überlebt hatte.
Sie betraten ihr Zimmer, nachdem sie ihre Handflächen gegen das Schloß gedrückt hatten, und sahen, daß es in Pentagonform fünf Wände aufwies. Jede einzelne Wand schien sanft zu leuchten, jede in einer anderen, doch komplementären Farbe. Die Farben waren in Erdtönen gehalten: pastellhafte Gelb-, Orange-, Brauntöne und Elfenbein. An der gegenüberliegenden Wand hing eine große, schwarze Platte, die den Großteil des Wandstücks bedeckte und aus dem gleichen Material zu bestehen schien wie das Handflächenschloß. Der Roboter zeigte ihnen das Zimmer und deutete schließlich auf eine Plattform, die offensichtlich das Bett darstellte, obwohl es auf etwas ruhte, das wie eine Zikkurat aussah und weniger wie ein Bettgestell. Der Roboter erklärte, daß das Bett mit einer gelantineartigen Substanz gefüllt sei, die im Labor entwickelt worden und eigentlich ein halborganisches Material sei, das sich dem Körper der Person völlig anpassen würde, die sich darauf legte. Als ein Zwitter aus Pflanze und Tier wartet die Substanz mit einem Maximum an Schlaf- und Erholungskomfort auf – dies oder so etwas Ähnliches sagte der Roboter. Man konnte sie auch als Bad und Toilette benutzen; und sie basierte auf Prinzipien, die sich zwar als effektiv erwiesen, dennoch nicht leicht zu verstehen waren. Der Schirm an der gegenüberliegenden Wand bescherte einem, sobald man ihn einschaltete, ein Panorama des Umlandes der Zitadelle, inklusive des Carrington-Höhenzuges, der sich mit schneebedeckten Gipfeln in den weit entfernten Horizont bohrte.
Der Raum steckte voller Nischen und innenarchitektonischer Ideen und bestand aus einem Material aus einer anderen Zeit. Es stellte wahrhaft die Krönung des Versuchs dar, Wärme, Komfort und Sicherheit zu gewährleisten, aber für Varians Geschmack störte hier etwas. Der Raum strahlte eine Kälte aus, die physische Existenz zu besitzen schien und an die er sich nie gewöhnen würde. Er konnte dieses Gefühl nicht anders beschreiben, als in Gedanken die total antiseptische Note dieses Zimmers, überhaupt der ganzen Zitadelle, zu beklagen. Nirgends fand sich ein Staubkorn oder eine Spur von Leben. Nicht ein Fingerabdruck, ein Schmierfleck oder sonst das geringste Anzeichen dafür, daß sich etwas nicht an seinem richtigen Platz befand.
Man versorgte sie außerdem mit einem vollständigen Sortiment an Kleidungsstücken nach dem gleichen Grund- und Schnittmuster wie die zwanglose, paramilitärische, funktionale und bequeme Uniform des Roboters. Später brachte man sie zu einem kleinen Speisesaal, von dem man einen guten Überblick über die botanischen Gärten hatte. Der Homolog hatte anscheinend vorher alles zubereitet und bediente sie nun allein. Die vier Menschen kamen sich vor, als würden sie im Palast eines großzügigen, wenn auch etwas exzentrischen Königs bewirtet.
Viele Fragen brannten ihnen auf der Zunge, und sie versuchten, während der Mahlzeit ein Gespräch mit dem Wächter in Gang zu halten. Seltsamerweise wurde vielen ihrer Fragen vorsätzlich ausgewichen, oder es wurde ihnen manchmal sogar ganz offen die Antwort verweigert. Zum Beispiel behauptete der Wächter, nicht zu wissen, wieviel Zeit seit dem Krieg vergangen war, keine Ahnung davon zu haben, wann die Erste Zeit zu Ende gegangen war oder aus
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