zuadraht
zu jeder Zeit an jedem Ort anders sein kann, als man denkt, man weiß ja nie. Die größte Unnatürlichkeit liegt in der zu genau geplanten Natürlichkeit eines einzigen Plans, ganz wie beim Elternsprechtag, der dieselbe künstliche Wirklichkeit erzeugt wie das angesagte Verhör, wo einen schon die kleinste Kleinigkeit außer Tritt geraten lässt. Wie etwa ein Verdächtiger, der deinen besten, aber einzigen Plan mit seinem einzigen, aber noch besseren Plan durchkreuzt und aus dem offenen Fenster hinausspringt. Wie auch der Schulwart zur offenen Türe herein springen kann und die Klasse zum Impfen holt. Oder ein Schularbeitenschwänzer den Feueralarmknopf drückt und der Lehrer ohne Schüler seine Fragen dann nur noch an sich selbst richten kann. Wie der Kriminalist ohne Verdächtigen auch. Der beste Teil eines jeden besten Planes, dachte ich, ist die unbefangene Wirklichkeit, und die herrscht nun einmal einzig in der Spontaneität. Wie beim Banküberfall, wo die Überfallenen auch ganz und gar ehrlich sind in ihrer natürlichen Erschrockenheit.
Mein Blick fiel auf die chefredaktionelle Pinwand und ließ mich stocken. Inmitten eines Sammelsuriums alter Zeitungsausschnitte thronte die noch recht druckfrische Kopie einer Titelseite mit einem Bild der Landeshauptfrau, und über ihr in fetten Lettern der Schriftzug: Die Steiermark versinkt in Trauer. Unsere Landesmutter ist tot. Die Landeshauptfrau? Tot? Ein eisiger Schauer packte mich vom kleinen Zeh bis hinauf in die letzte Haarwurzel. Der ist ja noch gnadenloser und skrupelloser, als es der Hochauer geschildert hat. Nicht nur, dass er den Hanser deckt. Der spekuliert sogar mit dem Leben anderer. Oder vielmehr mit deren Ableben. Dabei ist sie doch kerngesund. Oder sollte sie gar die nächste sein auf der hanserschen Liste und der Stocker weiß das? Ein Mordkomplott gegen die Landeshauptfrau? Von einem Journalisten geplant? Von seinem Chefredakteur gedeckt? Oder womöglich gemeinsam ausgeheckt? Ich zog den Handrücken über die Stirn und spürte, wie sich die Härchen im hauchdünnen Schweißfilm verklebten.
„Auch wenn ich mich wiederhole: Ich weiß, was Sie denken, aber es ist nicht so, wie es aussieht.“ Stocker war meinem Blick mit der untrüglichen Sicherheit eines Spürhundes gefolgt, hatte sich aus seinem Wabensitz hochgestemmt und das Blatt mit der toten Landesmutter abgeheftet. „Das hängt schon ein halbes Jahr hier. Sie wissen doch, damals, als die Frau Landeshauptmann krank war.“
Frau Landeshauptmann, dachte ich. Wenn das die Schulenburg hören könnte. Krank? Ich Idiot. „Meinen Sie etwa die . . . Krebsoperation?“
„Natürlich, was denn sonst. Da hat es nicht gerade gut ausgesehen für die Gute. Und wenn ich sage ,die Gute‘, dann meine ich ausnahmsweise die Frau Landeshauptmann. Für den Fall, dass einer stirbt, bei dem es sich ankündigt, muss man vorbauen. Mit einem Aufmacher und einem schönen Nachruf. Oder wenn einer schon längst überfällig ist, wie . . . was weiß ich. . . ja, wie der Papst zum Beispiel. Bei dem ist der Nachruf jahrelang da gehangen, bis wir ihn endlich gebraucht haben. Auf Vorsatz, wie wir sagen.“ Stocker legte eine sinnierende Pause ein und rieb mit Daumen und Mittelfinger Kinn und Halsansatz. „Sei‘s drum. Wenn also einer von denen ausgerechnet kurz vor Redaktionsschluss stirbt und unsereiner als Medienprofi nicht vorbereitet ist, handelt man fahrlässig. Geradezu grob fahrlässig, möchte ich sagen. Das ist Zeitungsbusiness, Herr Oberstleutnant.“ Ein edelmännisches Lächeln umspannte sein Gesicht.
„Und einen Mordverdächtigen zu decken und dabei die Ermittlungen zu behindern und sich strafbar zu machen, zumindest der Mitwisserschaft und womöglich gar der Mittäterschaft, ist das auch Zeitungsbusiness, Herr Stocker?“ Mir war, als spürte ich das Blubbern meiner Körpersäfte, gleich einem Häferl Wasser, das bei Unterdruck in Sekundenfrist ins Sieden gerät.
„Mordverdächtig? Sie haben mich wohl nicht verstanden, oder?“ Stocker begann mit der Rechten sein krauses Haar zu zerzausen, weil doch der Hanser, also dass der ein Mörder . . . Herr Leimböck,. . . wo er sich doch immer als Stimme der Gerechtigkeit . . . und vorverurteilen, nein, das wollen wir von der Guten doch nicht. . . und ausgewogen berichten . . . und unsere moralische Pflicht . . . aber wo der Hanser steckt, also . . . beim besten Willen. . . keine Ahnung. . ., bis er auf einmal transparent und verliererisch verzweifelnd
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