Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters
Clinton Park, Rensseelaer, NY, 12144, USA.
Fingerabdrücke auf dem Umschlag kann man gleich vergessen, dachte Johansson, hielt den Brief aber doch routinemäßig an der linken oberen Ecke zwischen Daumen- und Fingernagel der linken Hand, während er vorsichtig den mit Maschine beschriebenen und in der Mitte gefalteten A-4- Bogen herausfischte.
»You’re doing it copstyle«, stellte eine einwandfrei hingerissene Sarah fest.
»Yes«, sagte Johansson und faltete den Brief auseinander. »Das ist eine alte Berufskrankheit.«
»Sieht toll aus, wie Sie das machen«, sagte Sarah kichernd. »Are Swedish detectives always that gentle with their hands?«
»Nicht alle«, sagte Johansson mit leisem Lächeln.
Der Text schien auf Krassners Maschine geschrieben worden zu sein. Der kurze Brief war datiert vom Donnerstag, dem 17. Oktober, und gerichtet an Police Intendent Lars M. Johansson. Johansson übersetzte beim Lesen.
»Lieber Kriminaldirektor Lars M. Johansson, mein Name ist John P. Krassner. Ich bin Wissenschaftler und Journalist aus den USA. Wir kennen uns nicht, aber ich habe Ihren Namen von einem schwedischen Bekannten bekommen, einem prominenten schwedischen Journalisten, der behauptet, Sie gut zu kennen, und der Sie als ehrlichen, nicht korrupten und überaus tüchtigen schwedischen Polizisten schildert, der der Wahrheit nicht ausweicht, so erschreckend diese manchmal auch sein kann.
Ich schreibe diesen Brief als eine Art Sicherheitsvorkehrung, und wenn Sie ihn jemals lesen, dann bedeutet das leider wohl, dass ich mit größter Wahrscheinlichkeit von Personen innerhalb des schwedischen militärischen Nachrichtendienstes oder der schwedischen Sicherheitspolizei oder des sowjetischen Nachrichtendienstes GRU umgebracht worden bin. Ich halte mich in Ihrem Land auf, weil ich seit fahren an einer größeren Reportage arbeite, die sich jetzt dem Abschluss nähert. Ich werde meine Untersuchungen zu Beginn nächsten Jahres in Buchform veröffentlichen. Das Buch wird in einem großen Verlag in den USA erscheinen, ich kann im Moment noch nicht verraten, in welchem. Die Tatsachen, die ich vorlegen werde, sind jedoch von einer Art, dass sie die gesamte sicherheitspolitische Situation in Nordeuropa und nicht zuletzt in Ihrem Land verändern werden. Ich kann mich auf umfassende Dokumentationen stützen, was den Inhalt meines Buches angeht. Diese Unterlagen sind zusammen mit dem Manuskript des Buches sicher aufbewahrt, in einem Banksafe, zu dem ich Zugang habe. Ich habe meine ehemalige Freundin Sarah Weissman angewiesen, Ihnen diese Unterlagen zu überlassen, damit Sie dafür sorgen können, dass in Ihrem Land Gerechtigkeit geschaffen wird. Gruß,
John P. Krassner.«
Was zum Teufel soll das denn?, dachte Johansson und schaute seine Gastgeberin fragend an.
»It’s a typical John P. Krassner letter«, sagte Sarah Weissman und lächelte ein wenig, so, als könne sie Gedanken lesen. »Das weiß ich, ich habe in den vergangenen zehn Jahren schließlich einige Hundert von der Sorte bekommen.«
»Ich verstehe nicht, was er meint«, sagte Johansson. »Schweden besitzt zwar einen militärischen Nachrichtendienst und eine Sicherheitspolizei, aber meines Wissens ermorden die nicht einfach irgendwelche Leute. Und schon gar keine amerikanischen Journalisten.«
»Aah! You think the russkies did it«, sagte Sarah und zwinkerte ihm zu.
»Das kann ich eigentlich auch nicht glauben«, sagte Johansson. »Wenn ich mir vorstelle, wie er gestorben ist, meine ich.«
»Ich auch nicht«, sagte Sarah. »Und wenn ich nicht gewusst hätte, dass er wirklich tot ist, hätte ich diesen Brief wie alle anderen von ihm weggeworfen. Er lag in meinem Briefkasten, als ich am Freitag aus New York gekommen bin. Ich war einige Tage beruflich dort. Ich lese sonst keine fremden Briefe, aber nachdem das alles passiert war … na ja, Sie verstehen.«
»Ich verstehe«, sagte Johansson.
»Er hat mir vor ungefähr einem Monat einen ähnlichen Brief geschickt«, sagte Sarah. »Darin hat er erzählt, dass er in geheimer Mission nach Schweden gereist sei. So war er eben. Johns gesamtes Leben war eine Top Secret Mission. Er war manchmal einfach wahnsinnig. Als wir zusammenwohnten, hat er Haare an die Tür geklebt, wenn wir ausgegangen sind, um festzustellen, ob derweil jemand in unsere Wohnung eindrang. Nachts habe ich mich kaum zu schlafen getraut.«
»Stand da noch mehr? In diesem Brief, meine ich«, sagte Johansson.
»Da stand etwas über Sie«, sagte Sarah und
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