03 Göttlich verliebt
tyrannisiert hat. Und jetzt bin ich wohl der größte Tyrann von allen, stimmt’s?«, sagte Helen und lächelte ihm zu. Matt erwiderte ihr Lächeln. Keiner von ihnen wollte, dass dies geschah.
»Leute, wartet mal«, sagte Claire hektisch und hastete zwischen die beiden, als könnte sie einen Weg finden, sie wieder zu vereinen. »Lennie – gibt es vielleicht eine Möglichkeit, ein paar von diesen Superkräften zurückzugeben? Kannst du irgendwas tun, um wieder du selbst zu werden, sodass wir nicht total ausflippen müssen?«
»Tut mir leid, Gig«, antwortete Helen, obwohl sie wusste, dass sie ihrer besten Freundin damit mehr wehtat als jemals zuvor. »Das bin ich. Ich war es schon immer.«
Claires Augen füllten sich mit Tränen. Aber sosehr sie die Menschen auf der anderen Seite der imaginären Mauer liebte, die sich zwischen den beiden Parteien auftürmte, wusste Helen doch genau, dass Claire tun würde, was sie für richtig hielt.
Als sie wieder ihren Platz hinter Matt einnahm, konnte Helen ihr keinen Vorwurf machen. Sie bewunderte sogar, wie stark und mutig Claire ihren Standpunkt vertrat, auch wenn es sie sehr verletzte.
Helen wünschte, sie könnte ihren Plan herausschreien, könnte ihren Freunden und ihrer Familie sagen, warum sie das alles tat, aber das ging nicht. Wenn sie bei Orion war, konnten die Parzen sie zwar vielleicht nicht hören, aber Zeus konnte es auf jeden Fall, und auch wenn die Parzen der eigentliche Feind waren, war Zeus doch derjenige, den sie irgendwie wieder einsperren musste. Und solange das nicht geschehen war, konnte Helen kein Stück von ihren Kräften zurückgeben, weil sie dann nicht mehr stark genug wäre, um gegen ihn zu kämpfen. Und dann würde Zeus einen Weg finden, jeden Einzelnen von ihnen umzubringen.
Helen war bereit, die Böse zu spielen und sich von allen hassen zu lassen, wenn sie dadurch den Tod geliebter Menschen verhindern konnte. Sie erinnerte sich daran, wie Ariadne ihr erzählt hatte, dass der Name Helen bei Scions dieselbe Bedeutung hatte wie Judas bei Christen. Wie alle anderen Helens vor ihr hatte Helen Hamilton entschieden, dass es gerechtfertigt war, vor ihrer Familie den Judas zu spielen – Hauptsache war doch, dass alle am Leben blieben.
»Es tut mir leid, Claire«, sagte sie und versuchte vergeblich, eine Gedankenverbindung zu ihrer Freundin herzustellen und ihr alles zu erklären, ohne ein Wort sagen zu müssen. »Aber ich werde meine Kräfte nicht abgeben.«
»Sie wird nie mehr unsere ›Lennie‹ sein, Claire. Sie hat ihre Wahl getroffen – ihre Macht ist ihr wichtiger als wir«, bemerkte Matt traurig.
Er drehte den Kopf und gab über die Schulter ein unmenschlich klingendes Zwitschern von sich. Helen erkannte diesen Laut. Automedon hatte denselben benutzt, um seinen Männern im Wald am Rande des Sportfestes den Befehl zum Angriff auf sie zu geben.
Die Myrmidonen reagierten auf Matts Befehl, indem sie zurückwichen und auf seiner Seite der »Mauer« einen Halbkreis bildeten. Einer von ihnen trat vor und holte Phaons Leiche, während die restlichen Myrmidonen den Sand glatt fegten. Sie arbeiteten so schnell wie ein Trupp Ameisen und innerhalb von Sekunden war in der behelfsmäßigen Arena ein neuer Kampfplatz entstanden.
Als Opfergabe wurde ein Kürbis in den Ring gelegt.
»Was soll denn das?«, fragte Helen, die sofort daran denken musste, wie sie mit ihrem Vater versucht hatte, Kürbis zu Pfannkuchen, Pasteten und sogar Eis zu verarbeiten.
»Der Kürbis ist eines ihrer Symbole. Hekates Kräfte wirken sich auf viele Dinge aus«, beantwortete Orion ihre nur halb formulierte Frage im Flüsterton. »Portale, Kreuzwege, Grenzen und Handel sind die wichtigsten Dinge, über die sie herrscht, und deswegen ist sie auch diejenige, die über Duelle wacht, denn wenn man es genau betrachtet, sind die ja auch eine Art Handel. Außerdem ist sie die Hexengöttin. Ähnlich wie in Macbeth mit der verkauften Seele. Der Kürbis ist ihr Symbol, weil sie die erste Hexe ist.«
Helen starrte den albernen Kürbis an und war überzeugt, dass die Parzen sich auf ihre Kosten halb totlachten. Sie liebte Kürbisse. Von all den Rückblicken auf verschiedene Leben, denen Helen in letzter Zeit ausgesetzt gewesen war, waren ihr die Erinnerungen an ihr Leben auf Nantucket die liebsten. Jerry hatte ihr in all ihren Existenzen das beste Leben ermöglicht. Irgendwie hatte Daphne schon recht gehabt, dass Helen ihr dafür danken sollte, dass sie geglaubt hatte, Jerry wäre
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