0359 - Meine Henkersmahlzeit
Familie verloren, jetzt dieser andere Schock mit ihrem kleinen Sohn, das konnte ein normales Nervenkostüm einfach nicht verkraften, und Mrs. Anderson hatte die Folgen zu spüren bekommen.
Sie tat Horace F. Sinclair leid. »Es ist schon gut«, sagte der pensionierte Anwalt und ging dorthin, wo sich das breite Gitter im Boden befand. Er spürte, daß seine Knie zitterten. Er sah auch, als er näherkam, daß unten im Keller Licht brennen mußte, denn aus dem Gitter fiel ein gelbroter Schein.
Mrs. Anderson war auf der Stelle stehengeblieben. Sie überließ ihrem »Gast« die Initiative. Wahrscheinlich glaubte sie schon, gewonnen zu haben. Sinclair erreichte das Gitter, schaute nach unten und stellte fest, daß er nicht viel sehen konnte.
Er mußte schon auf die Knie.
Schnell warf er noch einen Blick auf Mrs. Anderson. Sie hatte sich noch immer nicht gerührt und schien sich für ihren Besucher überhaupt nicht zu interessieren.
So riskierte es der Mann.
Er ließ sich nieder. Wassertropfen rannen aus seinem Haar und fielen auf die Gitterroste.
Allmählich kristallisierte sich ein Bild hervor, wurde deutlicher, so daß Horace F. Sinclair plötzlich alles genau erkennen konnte. Das Bild übertraf seine kühnsten Erwartungen, allerdings im negativen Sinne, denn die Szene war grauenhaft.
Mit einem Wutschrei fuhr Horace F. Sinclair herum und hörte das gemeine Lachen der Mrs. Anderson.
Es war ein Geräusch, das ihn bis in die Zehenspitzen traf und ihn anmachte. Nein, so leicht wollte er es der Gegenseite nicht machen.
Die sollten ihn kennenlernen.
So rasch wie möglich kam er hoch. Er hätte sich jetzt gewünscht, jünger zu sein.
»Nun, hast du ihn gesehen, deinen Sohn und auch das Söhnchen, mein Alter?«
Es waren höhnische Worte, die man ihm entgegenschleuderte.
Sinclair hatte Mühe, sich zu beherrschen. Langsam drehte er sich so weit um, daß er Mrs. Anderson anschauen konnte.
»Ja, ich habe ihn gesehen.«
»Und?«
»Nichts und. Was habt ihr mit ihm gemacht?« Sinclairs Stimme klang erstickt.
»Komm näher!« flüsterte die Anderson, »dann erzähle ich es dir, mein Freund. Komm nur näher…«
Eine Falle, dachte er. Das ist eine verdammte Falle. So wie alles, in das man ihn geführt hatte. Aber er hatte es gewußt und war dieses Risiko bewußt eingegangen.
Auch Mrs. Anderson bemerkte das Zögern des Mannes. Sie sprach höhnisch auf ihn ein. »Willst du nicht kommen?« Ihr Gesicht hatte sich in den letzten Sekunden verändert. Sinclair glaubte, den Wahnsinn darin leuchten zu sehen. Zudem hatte sich die Frau weiter zurückgezogen. Sie war in eine Ecke des Raumes gegangen und stand dicht neben einem Bottich, aus dem dieser widerliche Fettgeruch drang, der sich in Sinclairs Kehle festgesetzt hatte.
Der pensionierte Anwalt hatte es nicht einfach. Ohne sein Wollen war er in einen schrecklichen Fall hineingezogen worden, in dem er leider die Konsequenzen tragen mußte. Man hatte ihm gezeigt, was mit seinem Sohn John passiert war, und plötzlich wurde ihm bewußt, daß eigentlich alles auf seinen Schultern ruhte. Die große Verantwortung, die gesamte Last, sie drückte auf ihm, sie war wie ein schwerer Druck, der ihn seelisch in die Knie zwang. Wenn er überhaupt etwas erreichen konnte, dann nur über Mrs. Anderson, die in der Ecke stand, ihn anschaute und locken wollte.
Deshalb ging er zu ihr. Dabei nickte er. »Okay, ich komme. Und dann will ich von Ihnen die Wahrheit hören. Die ganze Wahrheit! Haben Sie verstanden, Mrs. Anderson?«
»Ja, Sinclair, ja. Ich kenne die Wahrheit. Ich bin eine der wenigen. Aber komm nur her!« hauchte sie. »Vielleicht flüstere ich sie dir sogar ins Ohr. Ich will von der Gerechtigkeit des Lebens berichten. Wirklich, das Leben ist gerecht. Ich habe meinen Sohn verloren, du wirst ihn auch verlieren und noch mehr.«
Noch mehr! Diese beiden Worte hatte sich Sinclair sehr genaugemerkt. Deshalb wurde er noch vorsichtiger, beobachtete die Frau genauer, und sah das Leuchten in den Augen.
Sie hatte etwas vor…
Die Spannung verdichtete sich. Obwohl es in diesem nicht isolierten Anbau kalt war, schwitzte Sinclair. Es war die innere Erregung, die ihn so reagieren ließ, und er lauerte darauf, endlich eine Lösung präsentiert zu bekommen.
Die bekam er.
Gewundert hatte er sich darüber, daß die Hände seiner Gegnerin nicht zu sehen waren. Es änderte sich innerhalb einer halben Sekunde. Plötzlich schnellten beide Arme vor.
Einer nur war gefährlich. Mrs. Anderson hielt irgend
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