0502 - Die Disco-Hexe Tessy
Eingang sprach ich ihn noch einmal an. »Unser Treffen war doch kein Zufall – oder?«
»Nein.«
»Dienstlich?«
Er hob die Schultern und machte einen unglücklichen Eindruck.
»Ich glaube ja.«
»Wir hätten auch im Büro…«
»So ist es mir lieber. Ich habe noch Urlaub und wollte nicht ins Office kommen.«
»Das begreife ich gut.«
Er ließ mich vorgehen. Die Bar war klein. Fotos hingen an den mit Holz getäfelten Wänden. Auf den Bildern waren Sportler zu sehen.
Meist Boxer und Radfahrer.
Auch der Wirt sah aus wie ein Boxer. Seine Nase hatte einige Male Bekanntschaft mit Fäusten gemacht und war niemals gerichtet worden. Als wir eintraten, unterhielt sich der Mann mit zwei Gästen und kam zu uns, als wir an einer Thekenecke unsere Plätze eingenommen hatten.
»Was darf es sein?«
»Zweimal Whisky?« fragte Fox.
Ich nickte.
»Geht in Ordnung.«
Wir bekamen unsere Drinks. Der laute Verkehr war zurückgeblieben. Mir kam die Bar wie eine kleine Insel vor. Der Whisky schimmerte so dunkel wie die Farbe der Holzwände. Mike Fox prostete mir zu und leerte das Glas auf einen Zug. Er bestellte sich einen neuen Drink. Ich hatte weniger getrunken.
»Das mußte sein«, sagte er.
»Ja, manchmal braucht man einen Schluck.« Ich spendierte eine Runde Zigaretten. Drängen wollte ich den Kollegen nicht. Er würde auch so mit der Sprache herausrücken.
Gedankenverloren schaute er dem Rauch nach. »Wissen Sie, Mr. Sinclair, vielleicht bilde ich mir alles ein, vielleicht ist es auch nicht so schlimm, aber ich muß mit jemandem darüber reden. Meine Frau ist noch in Spanien geblieben, sie soll auch nichts davon erfahren. Es geht, das will ich Ihnen ehrlich sagen, um meinen Sohn Kid.«
»Wie alt ist er?«
»Dreiundzwanzig.«
»Also erwachsen.«
»Ja, und ein Polizist. Sogar ein guter, wie mir seine Vorgesetzten bescheinigten. Das war er bis vor ein paar Wochen. Da hat er sich verändert, und jetzt ist er verschwunden. Er kam nicht mehr zum Dienst, er blieb einfach weg. Wäre ich nicht früher aus dem Urlaub zurückgekehrt, hätte ich davon nichts erfahren, doch jetzt bin ich informiert, und ich weiß nicht, ob ich das Richtige getan habe, mich mit Ihnen in Verbindung zu setzen.«
»Versuchen Sie es. Ihr Sohn ist also verschwunden?«
»Ja, niemand weiß, wo er ist.«
»Was sagen seine Vorgesetzten?«
»Daß er sich in der letzten Zeit ungewöhnlich benommen hat. Er war stets abwesend, er kam zwar zum Dienst, aber er war nicht da, verstehen Sie?«
»Klar.«
»Ich habe mir Sorgen gemacht, ich telefonierte mit seinen Freunden herum, er war nicht aufzutreiben. Spurlos verschwunden.«
»Wäre das nicht ein Fall für die Vermißten-Abteilung?« fragte ich vorsichtig nach.
Fox nickte. »Im Prinzip haben Sie recht, Mr. Sinclair. Daran habe ich ebenfalls gedacht, aber mich hat etwas stutzig gemacht. Mein Sohn muß einer Frau verfallen gewesen sein.«
»Kennen Sie die Dame?«
»Nein, leider nicht. Aber Kids Freundin Susan Holmes hat es mir gesagt. Diese Frau oder dieses Mädchen hat ihn fasziniert. Sie heißt Tessy Lamar und ist eine Sängerin. Sie gehört zu einer Rockgruppe, die angeblich Furore gemacht hat. Tessy and the Monsters nennt sich die Gruppe. Ich habe davon nie gehört, die jungen Leute um so mehr, auch Susan, die zwei Konzerte mit meinem Sohn besucht hat und von seiner Faszination für diese Frau etwas mitbekommen hat.«
»Wie reagierte Susan?«
»Sie nahm es gelassen hin. Es gibt immer wieder Menschen, die für bestimmte Stars schwärmen. Die einen reisen bekannten Opernsängern nach, die anderen fahren voll auf die Rockleute ab. Ich kann mich da auch nicht hineindenken.«
»Und Susan?«
»Hielt es erst für harmlos, aber mein Sohn ließ sich nicht mehr von dieser Person abbringen. Sobald er Zeit hatte, pilgerte er am Abend zu dem Konzert der Gruppe.«
»Sie spielen öfter?«
»Ja, sie treten hier in London auf. Irgendeine alte Halle haben sie gemietet. Kid vergaß seine Freundin Susan, die ebenfalls sauer wurde. Dann verschwand Kid. Er meldete sich auch nicht bei Susan. Sie hat es wieder versucht, keiner hob ab…«
»Dann wohnte Ihr Sohn nicht mehr bei Ihnen?«
»Nein, er war schon längst ausgezogen. Ich bin in die Wohnung gegangen, ich besitze einen Schlüssel, befürchtete schon das Schlimmste, aber die Bude war leer. Keine Spur von meinem Jungen.«
»Dann hat er sich abgesetzt?«
»So früh steigt man eigentlich nicht aus, wenn einem der Job zudem noch Spaß gemacht hat. Ich hätte
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