0884 - Mondwölfe
Gesicht sah aus wie das eines Vogels, der nach irgendwelchen Körnern pickte.
»Sorry, ich verstehe nichts.«
»Die… die«, Helen deutete auf die Tür des Ralstons. »Diese komischen Geräusche.«
Tracy schluckte. Ganz ruhig, sagte sie sich. »Geräusche?« fragte sie dann leise.
»Ja.«
»Aus der Wohnung?«
Helen nickte.
»Und?«
»Nichts und. Denkst du, ich habe nachgeschaut?«
Auch wenn Tracy Ralston beunruhigt war, weil sie an die offene Tür dachte, so zeigte sie es nicht und blieb gelassen. »Dorian wird die Glotze etwas zu laut eingestellt haben.«
Helen konnte triumphieren. »Das war es nicht!« behauptete sie sehr bestimmend.
»Nein…?«
Helene lächelte und beugte sich über das Geländer. Sie wollte nicht so laut sprechen. »Es waren schon komische Geräusche, nicht genau zu unterscheiden.« Sie zog ein bissiges Gesicht. »Weißt du, die hörten sich an, als hättet ihr ein Raubtier in eurer Wohnung versteckt. Ja, ein Raubtier. So ein Fauchen und Stöhnen, meine ich jedenfalls. Kann mich aber auch geirrt haben. Die Wände verzerren den Schall ja.«
»Vielleicht einen Tiger«, sagte Tracy.
Helen merkte gar nicht, daß sie auf den Arm genommen wurde. »Ja, ein Tiger.«
Tracy prustete los. Nun erst wußte die Nachbarin, daß sie auf den Arm genommen worden war, bekam vor Ärger ein rotes Gesicht und raffte ihren Mantel zusammen. Wie eine beleidigte Leberwurst rauschte sie mit hochrotem Kopf an Tracy vorbei. Auf der letzten Stufe des Absatzes schimpfte sie noch einmal. »Da will man was Gutes tun und wird einfach ausgelacht.«
Erst als Helen nicht mehr zu sehen war, nahm Tracys Gesicht einen ernsten Ausdruck an. In ihren Augen stand die Sorge zu lesen. Die Erzählungen der Nachbarin hatten sie schon beunruhigt. Hinzu kamen die offene Tür und das merkwürdige Verhalten ihres Mannes in der nahen Vergangenheit.
Endlich bückte sich Tracy und hob die beiden Tüten an. Sie waren nicht leichter geworden, und Tracy klemmte sie unter die Arme, während sie die Tür mit dem Fuß anstieß, damit sie aufschwang.
Tracy betrat die Wohnung.
Es war nichts zu hören.
Eine seltsame Stille empfing sie in der Wohnung. Als Tracy die beiden Tüten abstellte, kam ihr das Knistern des harten Papiers überlaut vor.
Sie zog den Mantel aus und legte ihn über eine Stuhllehne. Die Stirn hatte sie gerunzelt. Ihr Blick war auf die Küchentür gerichtet, die halb offenstand. Im Flur bewegte sich nichts, aber es gab noch das Wohn- und das Schlafzimmer. Letzteres war mit dem kleinen Bad durch eine Tür verbunden.
Sie ging wieder in den Flur.
Die Stille blieb. Nur ihr Herz klopfte lauter als gewöhnlich, was sie sich auch einbilden konnte.
»Dorian…?«
Tracy hatte den Namen ihres Mannes nicht sehr laut gerufen, gerade laut genug, um gehört zu werden, doch eine Antwort erhielt sie nicht. Dorian schien die Wohnung tatsächlich verlassen zu haben, wobei er die Tür nicht geschlossen hatte, als wäre er mal eben auf einen Sprung nach draußen gelaufen. Das wollte Tracy nicht akzeptieren. Hier lief einiges nicht so, wie es hätte laufen sollen, und Tracy wurde wütend. Ihr Hals war auf einmal trocken. Sie spürte das Brennen in den Augen, und als sie in Richtung Wohnraum schaute, fand sie die Tür geschlossen.
Entschlossen ging sie darauf zu, öffnete sie ruckartig - und der Stein fiel ihr vom Herzen. Kein Mensch hielt sich darin auf. Auf dem niedrigen Holztisch stand eine halbleere Brandyflasche, auch das war normal. Kalter Zigarettengeruch lag noch in der Luft, ein Andenken ihres Mannes, der verschwunden blieb.
Sie ging wieder zurück. Jetzt brauchte sie nur im Schlafzimmer nachzuschauen. Seltsamerweise fürchtete sie sich davor, und sie fürchtete sich auch gleichzeitig vor ihrem Mann.
Tracy drehte sich um. Dabei schaltete sie auch das Flutlicht ein. Es war sehr hell, weil es von zwei Lampen abgegeben wurde. Es streifte nicht nur an den leicht gemusterten Tapeten entlang, es fiel auch auf den rehbraunen Teppichboden, einen etwas dunkleren Untergrund, vor dem sich das andere Zeug scharf abhob.
Gelbe Flecken! Nein, keine Flecken. Das war schon Schleim, der seine Spuren hinterlassen hatte.
Sie konnte ihn sehr gut mit den Augen verfolgen und stellte fest, daß der Schleim an der Tür zum Schlafzimmer endete.
Da war jemand gegangen. Und dieser Jemand hatte Schleim verloren, wie auch immer.
Aber wer?
ER?
Es gab für Tracy nur eine Möglichkeit. Das mußte Dorian, ihr Mann gewesen sein. Er hatte den Schleim
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