Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
weihnachtliche Schnee knirschte munter unter seinen festen Schuhen.
    Zwanzig Minuten später betrat Edgar das Büro der Tagwache, auch jetzt die Ruhe bewahrend und ohne Hast. Das ältere Vampirpaar am Eingang schmückte eine Tanne. Sie begrüßten Edgar, wie es sich gehörte, respektvoll und unaufdringlich.
    »Der Chef hat schon nach Ihnen gefragt«, teilte der Vampir mit. »Er hat angeordnet, dass Sie bei ihm vorbeikommen, sobald Sie auftauchen.«
    »Danke, Filippitsch«, meinte Edgar. »Ist der Chef in seinem Zimmer?«
    »Inzwischen ja.«
    »Gut. Ein schönes Neues Jahr euch beiden.«
    »Ihnen auch, Edgar.«
    Edgar begab sich in die oberen Stockwerke und sandte Sebulon durchs Zwielicht das Choshda-Zeichen zu.
    Komm rein, erwiderte Sebulon daraufhin.
    Der Chef der Tagwache verlangte von seinen Untergebenen eine strenge Einhaltung der Hierarchie und Disziplin. Dabei ringsten der Tiermenschen von den Eingangsposten zu respektieren, und vertraute den Magiern an der Spitze der Tagwache. Er machte keine Anstalten, Edgar geradezu zu fragen, warum dieser nicht zur Besprechung erschienen war. Wenn er sie ver-passt hatte, musste er einen gewichtigen Grund dafür haben.
    Doch einen gewichtigen Grund konnte Edgar nicht vorweisen. Deshalb hielt er es für geboten, alles so zu erzählen, wie es sich abgespielt hatte, ohne Ausflüchte. Vor allem da für heute keine wichtigen Aktionen geplant waren. In einer brenzligen Situation hätte man sich ohnehin durchs Zwielicht mit ihm in Verbindung gesetzt oder ihn äußerstenfalls auf dem Handy angerufen, weshalb Edgar letzten Endes kein sonderlich schlechtes Gewissen plagte.
    »Guten Abend, Chef.«
    »Guten Abend, Edgar. Schönes Wetter, nicht?«
    »Es schneit. Und es ist schön, dass kein Wind geht. Entschuldigen Sie, Chef, dass ich die Sitzung geschwänzt habe. Es stand doch nichts Dringendes an, oder?«
    »Nein. Aber jetzt.«
    Sebulon trug wie immer seinen geliebten grauen Anzug und ein graues Hemd. Noch nie, so schoss es Edgar durch den Kopf, hatte er den Chef in andrer Kleidung gesehen. Nur im Anzug und im grauen Hemd - wenn er sich in der gewöhnlichen Welt bewegte. Und ohne jede Kleidung in seiner Zwielicht-Gestalt
    »Stellen Sie sich vor, Chef, ich bin ins Träumen geraten. Ich bin an den Teichen Tschistyje Prudy entlangspaziert und habe an Samara gedacht, wie es 1912 war.«
    Sebulon lächelte kaum merklich. »Ein Fotoatelier ...«, sang er leise. »In diesem Paar ersteht Samara neu, das Zwölfer Jahr...«
    Der Chef der Tagwache hatte einen klangvollen Bariton, den er gut zu intonieren wusste. Auch wenn die beiden Dunklen Magier einander seit vielen Jahren kannten, hörte Edgar Sebulon zum ersten Mal singen.
    »Hast du Enten gefüttert?«, wollte Sebulon wissen.
    »Ja.«
    Sebulon seufzte und überließ sich einen kurzen Moment seinen Erinnerungen. Einen sehr kurzen Moment. Buchstäblich nur eine halbe Minute.
    »Gut, Edgar. Kommen wir zur Sache. Du fliegst morgen nach Prag.«
    »Zum Tribunal?«
    »Ja. Es werden verschiedene Fälle verhandelt, darunter auch der Mord an Alissa und die Aktion der Regin-Brüder.«
    »Wollten sie die nicht morgen laufen lassen?«, wunderte sich Edgar. »Oder haben es sich die Lichten anders überlegt?«
    »Sie haben es sich nicht anders überlegt. Der Fall ist dem Europabüro des Tribunals übergeben worden. Ich glaube, Geser versucht, uns die Verantwortung für ihre Aktion anzuhängen. Dass wir sie geplant hätten. Oder die Brüder dazu angestiftet hätten.«
    »Dafür haben sie doch keine Beweise! Überhaupt keine!«
    »Deshalb schicke ich dich ja auch nach Prag. Pass auf, was sie da machen. Und lass dich von niemandem unterkriegen, wir haben in den letzten Jahren genug unter denen gelitten, jetzt ist es an der Zeit, den Kopf wieder hoch zu tragen.«
    »Die Umstände waren so, deshalb haben wir uns klein gemacht«, erwiderte Edgar. Die Aussicht, Weihnachten und danach den Beginn des Jahres 2000 in der alten gotischen Stadt Prag zu feiern, entzückte ihn aufs Höchste. Edgar liebte die düstere Stadt, die den europäischen Geist verkörperte, diese Stadt, in der sich die Dunklen frei und ungezwungen fühlten.
    »Übrigens fliegst du höchstwahrscheinlich in derselben Maschine wie diese Brüder. Nimm dir eine Minute Zeit und mach ihnen klar, dass die Tagwache Moskaus nicht die Absicht hat, Dunkle beleidigen zu lassen, die auf ihrem Territorium leiden mussten. Sie sollen also nicht verzagen oder den Schwanz einziehen.«
    »Wollen wir sie denn wirklich

Weitere Kostenlose Bücher