Alera 01 - Geliebter Feind
lächelte ihn nachsichtig an, und er riss seine hellbraunen Augen auf, um die Wirkung zu erhöhen, doch wegen seines kindlichen Gesichts sah er so nur noch lächerlicher aus.
Halias hielt die Augen weiter streng auf Miranna gerichtet, während er Destari über die Details unseres großartigen Plans informierte.
»Bhadran und die Königin erwarten uns in der Bibliothek«, schloss er.
»Dann sollten wir sofort zu ihnen gehen.« Destaris Feststellung ließ keinen Raum für Diskussionen.
Halias trat an Mirannas Seite, Tadark an meine, als wir die Treppen hinunterstiegen und auf die Bibliothek zusteuerten. Destari folgte uns mit Narian. Ich war froh, nach meiner Mutter und meinem Vater nur Tadark Rede und Antwort stehen zu müssen und nicht London. Nicht auszudenken, wie London auf unser Vorhaben reagiert hätte.
Für meinen Geschmack viel zu schnell erreichten wir die Bibliothek. Die Königin und der königliche Leibarzt erhoben sich wortlos aus ihren Sesseln am Fenster, als wir eintraten. Meine Mutter schüttelte missbilligend den Kopf und vor lauter Scham vermochte ich ihr nicht ins Gesicht zu sehen.
Destari blieb an der Tür stehen, nahm seine Hand nicht von Narians Schulter und bedeutete nur Halias, sich zu ihm zu gesellen. In gedämpftem Ton tauschten die beiden Wachmänner sich aus, und einige Male blickte Halias von Narian zu Semari, die mit gesenktem Blick stumm neben mir stand. Als die beiden fertig waren, fasste Halias Narian am Oberarm und führte ihn zu einem Stuhl am Fenster. Er zog das Sitzmöbel ein Stück von meiner Mutter und dem Arzt fort und drückte den Jungen dann grob darauf.
»Hinsetzen«, befahl er.
Nachdem Destari gegangen war, um Cannan zu holen, kam meine Mutter auf Semari, Miranna und mich zu. Wir standen dicht zusammengedrängt mitten auf dem großen Teppich. Auch wenn sie so gefasst wirkte wie immer, graute mir davor, was sie wohl sagen würde.
»Miranna, sag mir, dass du diesen Anfall nicht gespielt hast«, begann sie mit gedämpfter Stimme.
Miranna ließ den Kopf hängen, sodass ihr rotes Haar ihr wie ein Vorhang vors Gesicht fiel.
»Es tut mir leid, Mutter, aber das kann ich Euch nicht sagen«, gestand sie fast unhörbar.
»Ich verstehe euch drei nicht«, fuhr meine Mutter fort, ohne die Stimme zu heben. »Was hat euch bloß dazu gebracht?«
»Wir wollten ihn uns doch nur einmal aus der Nähe ansehen«, erwiderte Miranna, immer noch hinter ihrem Haarvorhang verborgen.
»Wir … wir haben nicht wirklich nachgedacht«, gestand ich und hoffte auf das Verständnis meiner Mutter, nachdem sie mir doch erst kürzlich von ihrer eigenen unstillbaren jugendlichen Neugier erzählt hatte.
»Das stimmt. Ihr habt das offenbar überhaupt nicht zu Ende gedacht.« Ihre Stimme klang überhaupt nicht so melodiös wie sonst, und ihre blauen Augen blitzten wie nur selten vor Wut. »Wir wissen rein gar nichts über diesen Jungen! Und ihr marschiert ohne einen einzigen Leibwächter einfach in sein Zimmer. Begreift ihr nicht, wie unvorsichtig das war?«
»Er ist so alt wie ich, Mutter!«, protestierte Miranna. »Was sollte er uns da schon tun können?«
»Dummes Kind!«, tadelte meine Mutter und klang dabei trotzdem äußerst gefasst. Außerdem sprach sie mit so leiser Stimme, dass vermutlich niemand außer uns dreien sie hören konnte. »In Hytanica wäre er im dritten Jahr seiner Ausbildung an der Militärakademie! Wir wissen nicht, wie die Soldaten in Cokyri trainiert werden, aber wenn er euch etwas hätte antun wollen, dann denke ich, dass ihm das auch gelungen wäre. Ihr habt doch überhaupt keine Vorstellung davon, mit wem ihr es da zu tun hattet. Er ist Cokyrier ! Während des Krieges war noch keine von euch geboren, sonst wäre euch vielleicht klar gewesen, wie leichtsinnig ihr euch heute verhalten habt. Wenn ihr den Tod, das Leidgesehen oder, wie ich, eure gesamte Familie durch diese kaltblütigen Geschöpfe verloren hättet, dann hättet ihr euch wohl zweimal überlegt, diesen Raum zu betreten.«
Semari, Miranna und ich standen totenstill und wagten kaum zu atmen. Seltsamerweise war die Standpauke meiner Mutter schlimmer, als eine körperliche Strafe hätte sein können.
»Euer Benehmen verlangt, dass ihr eure Leibwächter um Verzeihung bittet«, endete sie schließlich streng. »Außerdem rate ich euch dringend, in der Kapelle um Vergebung zu bitten und für ein besseres Urteilsvermögen in der Zukunft zu beten.«
Damit drehte sie uns den Rücken zu und näherte sich dem Arzt, der
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