Antarktis 2020
führte, beschwerliche Strecke laufen mußte. Zumindest war es eine Unaufmerksamkeit des Schichtleiters. Worte verlor Thomas darüber nicht.
Er verteilte die Lasten gleichmäßig und nahm selbst den Theodolit.
Deland hatte wieder keine Silbe gesprochen, die ganze Schicht über. Thomas’ dienstliche Weisungen quittierte er höchstens mit einem kurzem Gebrumm. Mit seinen Kameraden, die in der zweiten Schicht arbeiteten, wechselte er ein paar Worte. Wie es schien, spöttelten sie über ihn: er habe sich bei GEOMESS einen ruhigen Job verschafft. Deland gab den Ball nicht zurück, zuckte nur verächtlich mit den Schultern und wandte sich ab.
Diese Episode fiel Thomas beim Rückmarsch ein. Obwohl er wieder dachte, laß ihn in Ruhe, war er sich gleichzeitig bewußt, daß das nicht der richtige Weg sein konnte… Ach was, er beschäftigte sich viel zuviel mit dem Mann!
Mit sich selbst war Thomas zufrieden. Er hatte die Hauptmessung abgeschlossen, die Probe stimmte. Zwar mußte er jetzt vierzehn Tage lang täglich einfahren und die Richtung angeben, aber die war festgelegt, so daß er im stillen die Kurve, die erste Kurve, die die Strecke beschrieb, auf sein Erfolgskonto buchte. Dabei versuchte er den Gedanken, daß eine Kurve in der Bergbaupraxis überhaupt nichts Besonderes sei, weit von sich zu schieben.
An den Abenden traf sich Thomas oft mit Nina. Sie erzählte ihm viel von ihrer Familie. Ihr Vater war Operateur in einem zentralen Rechenzentrum in Kiew, ihre Mutter Sekretärin in einem Maschinenbaubetrieb, der auch Maschinen für die Antarktis herstellte. Und da der Drang nach dem weißen Kontinent unter den Frauen nicht so groß ist, Nina aber schon immer einen Hang zum Abenteuerlichen hatte, kam sie auf Grund guter Zeugnisse und einer Fürsprache durch Bekannte ihrer Mutter hierher.
Thomas konnte Nina stundenlang zuhören, ohne daß es ihn langweilte. Sie sagten sich nicht, daß sie sich liebten, und schworen sich keine Treue, aber sie waren sich sympathisch, sie hatten sich gern.
Er vermied, in dieses Verhältnis einen Mißklang zu bringen. Einmal hatte Nina eine herabsetzende Bemerkung über einen Kollegen übelgenommen. Nun, da ließ er eben solche Bemerkungen. Er konnte sich ganz gut unter Kontrolle halten.
IV
Es war zur zehnten Richtungsangabe. Sie fuhren zur Abendschicht ein. Vor Ort traf Thomas Pjotr.
»Augenblick, Tom«, sagte er, faßte ihn an der Schulter und zog ihn ein Stück zur Seite. »In meiner Schicht haben sich heute zwei Blöcke verklemmt. In der Frühschicht einer. Viel Ausfall. Ich habe bereits angeordnet, die Blöcke um einen Meter zu kürzen. Du weißt, was das bedeutet.«
»Warum sagst du mir das?« fragte Thomas abweisend.
Pjotr sah ihn erstaunt an. »Wollte dich informieren. Ich muß jetzt melden. Kurve zu eng, das ist es.« Pjotr schien erregt, und immer wenn er erregt war, brachte er die deutschen Sätze nicht so richtig heraus. »Das kann auf gar keinen Fall sein«, sagte Thomas bestimmt.
Pjotr ging zum Wagen, in dem seine Kumpel bereits ungeduldig warteten. Thomas rief ihm nach: »Unmöglich! Stimmt alles haargenau!«
Pjotr zuckte mit den Schultern, stieg ein, und da ruckte der Wagen schon an.
Thomas war es siedendheiß geworden. Es konnte nicht sein, es stimmte alles. Er hatte die Rechnung kontrolliert, alles doppelt, es konnte sich kein Fehler eingeschlichen haben!
Nachdenklich gab er wieder ein Stück der neuen Richtung an.
Er hatte den Eindruck, als ob die Kollegen vor Ort aufmerksamer als sonst sein Tun beobachteten.
Es spricht sich schnell herum, wenn etwas danebengegangen ist. Aber vielleicht täuschte er sich auch. Er nahm sich vor, alles noch einmal zu kontrollieren.
Während der Messung gingen ihm zahlreiche Möglichkeiten durch den Kopf, weshalb sich – außer durch eine zu enge Kurve – die Blöcke noch verklemmt haben könnten. Wenn die Schneidlaser schlecht eingestellt waren oder die »Pferdchen« ungleichmäßig zogen oder die Anhängevorrichtung einseitig war oder, oder… Es gab viele Oder. Warum sollte es ausgerechnet am Kurvenradius liegen?
Diese Gedanken gaben Thomas den größten Teil seiner Sicherheit zurück. Als sie ausfuhren, war er wieder ziemlich obenauf, sein ursprüngliches Vorhaben, noch in der Nacht Kontrolle zu rechnen, gab er auf. Schließlich hatte er dazu tags darauf in der Frühschicht genügend Zeit.
Auf jeden Fall wollte er mit Pjotr sprechen und ihn veranlassen, die anderen Möglichkeiten zu überdenken, immerhin hatten sich in
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