Binding, Tim
Aussicht auf das
alte Straflager, all das hatte mich eher kaltgelassen, aber meine zwei
rückenbeflossten Lieblinge, ja, dafür würde ich ihr immer dankbar sein. An dem
Tag offenbarte sie mir eine wunderbare Welt.
Sie hatte mich früh geweckt, mir zum Frühstück ein Glas
Champagner und einen Teller pikante Hammelnierchen serviert und mich dann,
solange ich noch gutgelaunt war, nach draußen geführt. Wir hatten da schon
einen Teich, aber mit nichts Berauschendem drin, nur ein bisschen Schilf und
eine Steinnymphe in der Mitte, der eine Kniescheibe fehlte.
»Wieso bringst du mich hierher, mein Schatz?«, fragte ich.
»Ich weiß, ich hab versprochen, den Rasen zu mähen, aber nicht heute.«
»Sieh nach unten«, sagte sie, »in den Teich«, und ich tat
es, und da waren sie, schwammen hin und her, mit ihrem netzartig gemusterten
Rücken, den tieforangeroten Wangen und Flanken, dem blitzenden Reinweiß am
Kopf. Sie hatten einen Glanz, eine Farbtiefe, eine Makellosigkeit, als wären
ihnen mehrere Schichten Seidenemulsionslack verpasst worden. Sie leuchteten,
strahlten geradezu, die schönsten Geschöpfe, die ich je gesehen hatte. Ich
hätte am liebsten hineingegriffen und sie gestreichelt, wollte spüren, wie sie
mir durch die Finger glitten.
»Das sind Asagi«, sagte sie stolz. »Eine sehr
traditionelle Sorte. Ich hab sie letzte Woche in Poole gekauft. Topqualität,
hat der Mann gesagt, in Japan gezüchtet. Gefallen sie dir? Sie waren nicht
billig.« Sie war richtig nervös. Anscheinend hatten Ian und Tina (damals waren
wir noch befreundet) die Idee furchtbar gefunden.
»Ob sie mir gefallen? Sieh sie dir doch an, Audrey, sieh
sie dir an! Eine göttliche Eingebung hast du gehabt, und was für eine. Ich
könnte dich zu ihnen in den Teich werfen, echt, sie sind perfekt«, und ich
packte sie, tat so, als würde ich es tun.
»Loslassen, Al, du bist ja verrückt«, protestierte sie,
aber es gefiel ihr, uns beiden, das Gerangel alter Liebe.
Natürlich konnte sie da noch nicht wissen, was sie uns
aufgehalst hatte. Sie dachte, sie brauchte sie nur in den Teich zu schmeißen
und damit hätte es sich, aber ich fand schon bald heraus, dass das ein Irrtum
war. Ich kaufte ein Buch über sie, las es gründlich durch. Meine Fische waren
was ganz Edles, nicht irgendwelche blöden Biester, die sich auch in einer
Drecksbrühe pudelwohl fühlten. Sie waren Rassefische. Sie mussten richtig
behandelt werden.
Als Erstes erfuhr ich, dass Karpfen äußerst stressanfällig
sind. Was eigentlich einleuchtet. Bei den meisten schönen Dingen ist das so.
Filmschauspielerinnen, Models, das stumpfe Ende meines Penis. Stress lässt das
Immunsystem eines Karpfens zusammenbrechen. Ein Karpfen unter Stress kriegt im
Handumdrehen Kiemenfäule oder Geschwüre. Um sie stressfrei zu halten, muss das
Wasser genau richtig sein, die richtige Zusammensetzung haben, und die Temperatur
sollte konstant um die 22 Grad liegen. Dafür ist eine elektrische Wasserheizung
erforderlich, und eine Sonde, die laufend die Temperatur überprüft. Außerdem
braucht man Wasserpumpen und Sauerstoffpumpen und UV-Filter. Jede Woche muss
die Härte und die Ammoniaktoxizität des Wassers kontrolliert werden, und es
muss durch einen Pflanzenfilter laufen, damit die Nitrate abgebaut werden. Dann
muss das Fressverhalten der Karpfen beobachtet, das Futter je nach Jahreszeit
umgestellt werden, und wenn man den Teich reinigen oder die Fische auf
Krankheiten untersuchen will, muss man lernen, wie man sie anfasst, ohne sie
zu sehr aufzuregen. Ich hatte also alle Hände voll zu tun. Ich gestaltete den
Teich neu, vergrößerte ihn, legte einen Wasserfall an, installierte die
erforderlichen Pumpen und Filter. Kostete eine Stange Geld, aber das war mir
egal. Audrey auch. Sie liebte die Fische so sehr wie ich, zumindest am Anfang.
Torvill und Dean taufte ich sie, nach dem legendären Eistanzpärchen, wegen des
Blassblaus auf ihrem Rücken und der Art, wie sie sich bewegten, sich drehten
und kreisten, über- und untereinander, Partner in einem endlosen
Unterwasserballett. Aber es war zeitaufwendig. Neben der Fisch- und Teichpflege
musste auch der Wagen stets blitzblank aussehen, sodass ich kaum noch im Haus
war, und überhaupt stand es zwischen Audrey und mir schon länger nicht zum
Besten, erst recht seit Carol nach London verduftet war. Statt uns
zusammenzubringen, trieben Torvill und Dean uns schnell noch weiter
auseinander. Audrey fuchste es zunehmend, dass ich ständig draußen war, und
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