Das 1. Buch Des Blutes - 1
rasierten Hände und gab dabei ein leises kehliges Hüsteln von sich, das fast wie ein zufriedenes Grunzen klang. Lewis hatte den Eindruck, daß es sich auf die Außenwelt vorbereitete, und der Anblick war ebenso ergreifend wie einschüchternd. Dieses Wesen wollte nichts als menschlich sein.
Es strebte, auf seine Weise, nach dem Vorbild, das Phillipe ihm gegeben, in ihm genährt hatte. Jetzt, seines Mentors beraubt, verwirrt und unglücklich, versuchte es, der Welt so gegenüberzutreten, wie man es ihm beigebracht hatte. Es gab für dieses Wesen keinen Weg zurück. Seine Tage der Unschuld waren dahin, niemals wieder konnte es ein unbedarftes Tier sein. Gefangen in seiner neuen Rolle, blieb ihm keine andre Wahl, als jenes Leben fortzusetzen, auf dessen Geschmack ihn sein Herr gebracht hatte. Ohne in Lewis’ Richtung zu schauen, schloß es ruhig die Tür hinter sich und überquerte den Hof, wobei sich sein Gang innerhalb dieser wenigen Schritte von einem affenartigen Geschlinger zu dem trippelnden Gewatschel verwandelte, mit dem es das Menschsein simulierte.
Dann war es verschwunden.
Lewis verharrte, flach atmend, noch einen Augenblick im Dunkel.
Jeder Knochen seines Körpers schmerzte jetzt vor Kälte, und seine Füße waren taub. Nichts ließ darauf schließen, daß die Bestie zurückkehren würde; also wagte er sich aus seinem Versteck heraus und versuchte, die Tür zu öffnen. Sie war nicht abgeschlossen. Beim Eintreten schlug ihm Gestank entgegen, der ekelhaft süße Geruch von verfaultem Obst, vermischt mit dem widerwärtigen Kölnischwasser: der Zoo und das Boudoir.
Er stieg, langsam und vorsichtig, eine schlüpfrige Steintreppe zu einem kurzen Gang hinunter und tastete sich diesen entlang zu einer Tür. Auch sie war nicht abgeschlossen, und drinnen beleuchtete die nackte Glühbirne eine bizarre Szenerie.
Auf dem Boden ein großer, etwas abgetretener Perserteppich; die Einrichtung eher spartanisch; ein Bett, grob mit Decken und fleckigem Sackleinen bedeckt; ein Schrank, brechend voll mit Kleidungsstücken in Übergröße; weggeworfenes Obst en masse, zum Teil in den Boden getreten, ein nach Tierfäkalien stinkender, strohgefüllter Eimer. An der Wand ein großes Kruzifix. Auf dem Kaminsims eine Fotografie: Catherine, Lewis und Phillipe, einträchtig lächelnd, in einer sonnenbeschienenen Vergangenheit. Beim Ausguß das Rasier-zeug des Geschöpfs. Seife, Pinsel, Rasiermeser. Frische Schaumreste.
Auf dem Toilettentisch ein Haufen Geld, in leichtsinnigem Überfluß liegengelassen neben einem Haufen Spritzen und einer Batterie Fläschchen. Es war warm in dem Bestienkabuff; vielleicht lief in einem angrenzenden Keller der Heizkessel fürs Haus auf Hochtouren.
Solal war nicht da.
Plötzlich ein Geräusch.
Lewis drehte sich zur Tür, sah innerlich schon den Affen auf der Schwelle stehen, die Zähne gefletscht, die Augen dämonisch. Aber er hatte völlig die Orientierung verloren. Das Geräusch kam nicht von der Tür, sondern vom Schrank. Hinter dem Haufen Kleider bewegte sich etwas.
»Solal?«
Jacques Solal taumelte, nein: fiel aus dem Schrank heraus und der Länge nach auf den Perserteppich. Sein entstelltes Gesicht war eine einzige abscheuliche Wunde, so daß es nahezu unmöglich war, ihn aufgrund irgendeines Teils seiner Züge noch als Jacques zu identifizieren.
Das Scheusal hatte seine Lippen gepackt und ihm die Muskulatur, wie man einen Hals- und Kopfschützer über die Ohren wegzieht, vom Knochen gepellt. Unsinnig klapperten seine freigelegten Zähne, eine fiebrige Antwort auf den nahenden Tod; seine Glieder krampften sich zusammen und schlotterten. Aber Jacques war schon hinüber. Diese Schauder und Zuckungen besagten absolut nichts über Denken oder Person, sie waren nur der blinde Lärm des Verscheidens. Lewis kniete neben Solal nieder; seine Magennerven waren eisern. Während des Krieges hatte er sich, als Kriegsdienstverweigerer, freiwillig zum Lazarettdienst gemeldet, und es gab wenige tiefgreifende Umwand-Jungen des menschlichen Körpers, die er nicht in der einen oder anderen Kombination gesehen hatte. Zärtlich umfing er den Körper, ohne auf das Blut zu achten. Er hatte diesen Mann nicht geliebt, ihn nicht einmal besonders gut leiden können, aber jetzt war sein einziger Wunsch, ihn von hier wegzubringen, hinaus aus dem Affenkäfig, und ihm ein menschenwürdiges Grab zu verschaffen. Die Fotografie würde er auch mitnehmen. Das war wirklich der Gipfel, dem Vieh eine Gruppenaufnahme aus
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